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Über Demokratie und Museum nachdenken

- ein Workshopbericht von Nikola Langreiter

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- ein Workshopbericht von Nikola Langreiter

Unter dem Titel „Museum und Demokratie in Vorarlberg. Fragen nach Verantwortung und Haltung, nach Engagement und Beziehungsfähigkeit! Eine Erkundung der Perspektiven von Museumsarbeit in Vorarlberg“ trafen am 22.und 23. September rund 30 in Vorarlberg tätige Museumsmenschen zusammen. museumdenken vorarlberg, angesiedelt im Jüdisches Museum Hohenems, initiierte diesen Workshop und trug die Veranstaltung zusammen mit dem Frauenmuseum Hittisau, das als perfekter Gastgeber fungierte, der Artenne Nenzing, der inatura – Erlebnis Naturschau Dornbirn, dem Lechmuseum, dem Stadtmuseum Dornbirn und dem vorarlberg museum.

Eine Aufwärmrunde, wie das gesamte Unternehmen aufmerksam und konzentriert moderiert von Edgar Eller, stimmte auf das Zusammensein und zusammen Arbeiten ein. Aufgefordert, den letzten „guten“ Museumsbesuch zu teilen, griffen viele Teilnehmer:innen schon die Themen des Workshops auf. Reisewünsche wurden geweckt, unter anderem die Ausstellung „Parlament der Pflanzen II“ des Kunstmuseums Liechtenstein mit Gegenperspektiven zur anthropozentrischen Sicht auf die Weltbeworben, das neue Stadtmuseum Kopenhagen – klein, im Vergleich zu anderen Museen der Stadt, aber voller toller Objekte und intelligenter Erzählungen – oder das Pharmaziemuseum Brixen mit einer Intervention der Künstlerin Maria Stockner zu Diskursen um den menschlichen Körper, um die Geheimnisse von Heilung und Gesundheit.

Einleitend spannten die Gastgeberin Stefanie Pitscheider Soraperra vom Frauenmuseum Hittisau und Anika Reichwald vom Jüdischen Museum Hohenems Zusammenhänge von Museum und Demokratie auf. Das Museum müsse sich mit seinen inneren Strukturen auseinandersetzen, seine Hierarchien transparent machen und auch die internen Kommunikationen, nicht zuletzt die Mitsprache des Teams. Zugleich sei geboten, sich der äußeren Strukturen (etwa Politik, Sponsoring) und ihres Einflusses bewusst zu sein. Partizipation und Teilhabe setzten Bemühen um gesellschaftliche Relevanz voraus – über die Museumsmauern hinaus. Inklusion beginne schon bei der Architektur oder der verwendeten Sprache. Warum sollten Menschen ins Museum gehen, wenn sie sich dort nicht wiederfinden? Und also hieße es, die Pluralität der Gesellschaft abzubilden, den Begriff Generation weiter zu fassen und Schwellen abzubauen, die sogar für die sogenannten Mitte der Gesellschaft zu hoch scheinen.

In der kurzen Diskussion wurde – festgemacht an der „Langen Nacht der Museen“ – solcherart Eventkultur als wenig sinnvolles massenhaftes „Abklappern und Durchschleusen“ kritisiert. Mehrere der Museumsleute verwiesen auf die aktuell guten und weiter steigenden Besucher:innenzahlen in ihren Häusern, ihre Statements konzentrierten sich jedoch auf die Nicht-Besucher:innen.[1]

Anschließend präsentierte Anika Reichwald souverän und mit Esprit den Input von Gottfried Fliedl, der erkrankt war. Gespickt mit zahlreichen Beispielen und Bildern (aus der Museumswelt und darüber hinaus) stellte die Präsentation sechs Fragen über das Museum in den Raum, mit denen sich die Anwesenden dann auseinandersetzen sollten. Fliedls Gedankenfeuerwerk rund um Demokratie und Museum führte von der Museumsgeschichte, dem Recht auf Bildung, über Zugänglichkeit, den Wert und Sinn der Dinge, das Sammeln und Kanonisieren bis zu Qualitätskriterien und dem Eigensinn des Museums in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft.

Etwa die Hälfte der Teilnehmer:innen verschwand unmittelbar nach dieser Präsentation bzw. den großzügigen gereichten Mittagssnacks, andere haben sich – ungeachtet des Freitags – Zeit genommen, über das Museum nachzudenken. Zuvor konnte, wer Lust hatte, geführt von Stefania Pitscheider Soraperra, die sorgfältig konzipierte, witzige und inspirierende Ausstellung „Blitzblank! Vom Putzen – innen, außen, überall“ sehen. Dann befassten sich drei Kleingruppen zweimal 45 Minuten mit je zwei Fragen, auf Wunsch des Moderators aus der Perspektive des Ist, des Soll und des Was fehlt dazu. Die Ergebnisse wurden ins Plenum getragen. Ich fasse auf Basis der in den Gruppen entstandenen Plakate[2] kurz zusammen:

Zu eins „Wie wollen wir leben?“ ist eine Grafik entstanden. Das Haus mit dem Team im Kern ist umgeben von konzentrischen Kreisen: der Institution, der Kultur- und Kunstschaffenden zusammen mit den Besucher:innen und der Einflussgröße Geld im nächsten Kreis, dann die Gesellschaft, charakterisiert als inklusiv, postkolonial, divers und zugleich als von allen Seiten stark wirkende Kraft. Außerhalb der Kreise, die einspiraliger Wirbel verbindet, stehen die Schulklassen. Als Ziel wurde formuliert, das Publikum größer zu denken.

Ausgehend von der Frage „Wer sind wir“, wurde das Museum als sozialer Ort charakterisiert, als Ort der Diskussion, des Dialogs (der etwa Raum zum Erinnern schafft) und der Sensibilität. Das Schlagwort „Museum für alle“ ist auf dem Plakat nicht nur mit einem Ausrufe-, sondern auch mit einem Fragezeichen versehen. Die zentral gesetzte, als Scharnier bezeichnete, Vermittlung begleitet die Herausforderung Schwellenängste abzubauen, ein ganz kleines Wie ist dem vorangestellt. Als dazu nötig sind in unvollständiger Aufzählung angeführt: Einstellung, Weltbild und bessere Vernetzung in die Kulturszene.

In Zusammenhang mit der dritten Frage „Wer ist beteiligt“, rückte die betreffende Gruppe partizipative Prozesse in den Mittelpunkt und fragte sich weiter, wie sich aufgrund dessen Kuratieren (neu-)definieren müsste: nicht autoritär, sondern moderierend. Im Vorfeld wären Formate zu kreieren, die Gruppen von außerhalb des Museums einbeziehen – was insgesamt Idealismus verlange. Als Status quo wurde festgehalten, „gut auf dem Weg“ zu sein, Problembewusstsein wäre vorhanden. Zur konsequenteren Umsetzung fehlten Möglichkeiten zur nötigen Entschleunigung und – wie immer – Ressourcen.

„Was soll bleiben?“ führte zum außerhalb der Archive und Museen schwer vermittelbaren Entsammeln (deshalb lieber Deakzession?). Die Museumsmitarbeiter:innen sind mit Überfluss konfrontiert, überfordert von komplexen Netzen von Beziehungen und hohem Kommunikationsaufwand. Dabei hätten sie durchaus Plan (z. B. ein Sammlungsleitbild). Ziel wäre ein radikales Freiraumschaffen, den Überblick zu haben und brauchbare Netze. Was fehlt ist Klarheit, wer entscheidet. Manchen scheint hier eine Landeskommission angezeigt (Hilfe!), ein einheitliches Konzept zum Entsammeln. Und überall mangelt es an Depotraum und sogar an ‚Man Power‘, um die Objekte zu bewegen. Hier wolle man nicht auf die Politik warten, sondern als Gruppe agieren, gemeinsam tätig werden.

Sammeln, den Bildungsauftrag erfüllen und Menschen aktivieren zählte die nächste Kleingruppe zur seitens ‚ihrer‘ Museen bereits übernommenen Verantwortung, zu den Desiderata hingegen: zu Diskussion anzuregen, Stakeholder zu sein, positiv in die Gesellschaft zu wirken, öffentliche Statements abzugeben, sich Raum zu nehmen – im Viertel, in der Stadt, in der Region. Woran es zur Umsetzung fehle? Mut in der Risikoabwägung, Messbarkeit und an einem Auffangnetz oder Backup.

Unter sechstens wollte Gottfried Fliedl wissen: „Welches Museum braucht es?“ Die Befragten zeichneten das Museum als Ort der Selbstermächtigung, an dem Fragen gestellt und gesammelt, aber auch beantwortet werden. Es muss ein Ort der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sein, ein heutiges, erweitertes Museum mit Zivilcourage. Der erste Schritt zu einem demokratischen Museum sei die Architektur, wurde hier nochmals betont. Die Reflexion, wer denn Strategie und Programm bestimme, mündet einmal mehr im Wunsch nach mehr Ressourcen, um alle gesellschaftlichen Gruppen einzubeziehen.

Der Vorteil der knappen, plakativen Präsentation für die größere Gruppe der Teilnehmer:innen bringt den Nachteil der allzu argen Verknappung auf Buzzwords mit sich, die mitunter banal und inhaltsarm daherkommen. In den Kleingruppen schienen die Teilnehmer:innen sich jedoch mit Gewinn auszutauschen und mitunter ging es hörbar kontroversiell und emotional zur Sache.

 

Der zweite Veranstaltungstag begann mit einem Vortrag von Kriemhild Büchel-Kapeller vom Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung der Vorarlberger Landesregierung. Das flammende Plädoyer für das Ehrenamt, unterlegt mit einer pädagogischen PowerPoint-Präsentation, bot unmittelbar wenig Ansatzpunkte, das Thema kritisch zu diskutieren. Das Gespräch drehte sich folglich zunächst darum, in welchen Bereichen des Museums sich Ehrenamtliche einsetzen lassen, wie man ihrer habhaft wird, wie das Ehrenamt verjüngt. Erst mit dem Beitrag von Stefania Pitscheider Soraperra, die berichtete, wie und vor allem warum und mit welchen Reaktionen sie das langjährig bewährte und allseits geschätzte Ehrenamt im Frauenmuseum abgeschafft hat, wurde es – für mich persönlich – spannend: Denn plötzlich ging es um Expertise, Qualitätssicherung auf fachlicher Ebene, den Aufwand, den ehrenamtliche für die bezahlten Mitarbeiter:innen mit sich bringen und die Währung Dankbarkeit, also eigentlich darum, ob das Ehrenamt im Museum nicht eine problematische Angelegenheit ist – zumal in einem so reichen Staat wie Österreich, einem vermögenden Bundesland wie Vorarlberg. Ich hätte darüber hinaus gerne von den anderen etwas über das Spannungsfeld, die Grenzen von Ehrenamt und Partizipation erfahren; es hat nicht gepasst.

 

Eine allerletzte – schon etwas von Müdigkeit gezeichnete – Runde sollte sich der Weiterentwicklung von museumdenken vorarlberg widmen. An dieser Stelle wurde betont, wie fein die Atmosphäre während der beiden Workshop-Tage war und der allgemeine Wunsch geäußert, dieses Netzwerk und Forum als „Safe Space“ unbedingt weiterhin zu pflegen, um sich regelmäßig zu bestimmten Themen in den Vorarlberger Museen austauschen und über Newsletter und Beiträge freuen zu können. Dass hier Ausschlüsse angeregt wurden – auf Museen solle man sich beschränken (Ausstellungshäuser oder Ausstellungsmacher:innen nicht einbeziehen), nachdem es ja „museumdenken“ heiße – scheint mir in Anbetracht des ohnehin eher kleinen Kreises an Engagierten bemerkenswert. Wie die mit museumdenken verbundene organisatorische und inhaltliche Arbeit, die momentan vor allem noch bei den Initiator:innen Anika Reichwald, Gottfried Fliedl und Hanno Loewy liegt, etwas aufgeteilt werden könnte, war nicht mehr zu klären.


[1] Auch auf das u. a. in Vorarlberg angesiedelte Forschungsprojekt zur Nicht-Publikumsforschung wurde hingewiesen. Fabian A. Rebitzer (Ltg.): Museumswelten. Eine explorative Annäherung an(Nicht-)Besucherbeziehungen zur Aktivierung der Teilhabe diverserer Publikumsgruppen durch neue Angebotsformate, Interreg-Projekt, Fachhochschule Vorarlberg, Juli 2021–Juni 2023.

[2] Ich danke Anika Reichwald für die fotografisch dokumentierten Flipcharts.

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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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