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Susanne Neuburger analysiert

die Präsentation der Sammlungen Batliner und Würth

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die Präsentation der Sammlungen Batliner und Würth

Welche Moderne?

Die Sammlungen Batliner (Albertina) und Würth (Leopold Museum)

Die Darstellung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die er in der österreichischen Museumslandschaft als unzureichend repräsentiert sah, war Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder immer schon ein großes Anliegen. Besonders gerne wetterte er gegen die mumok-Sammlung der Moderne, die Werner Hofmann als Lehrsammlung für das neu gegründete Museum des 20. Jahrhunderts angekauft hatte und die später immer wieder ergänzt und erweitert wurde. Als Schröder 2007 die Sammlung Batliner als Dauerleihgabe ans Haus binden konnte, verkündete er, mit deren Teil der klassischen Moderne nun endlich in seinem Haus das zeigen zu können, was eine repräsentative Sicht auf diese Zeitspanne ausmacht. Kaum jemand hat ihm widersprochen. Nun aber scheint die Sammlung Batliner mit der Sammlung Würth, die derzeit im Leopold Museum unter dem Titel „Amazing“ gezeigt wird, Konkurrenz bekommen zu haben.

Zwei Privatsammlungen, kuratiert von den Direktoren der beiden Häuser, werden mit dem hohen Anspruch vorgeführt, die Moderne exemplarisch zu zeigen. Es sind zwei durchaus unterschiedliche Sammlungen, die aber auch gemeinsame Sammlungsgebiete wie Picasso, Lyonel Feininger, Max Ernst oder die Expressionisten aufweisen. In beiden Sammlungen sind es oft Spätwerke, mit denen Künstler vorgestellt werden. Frauen sind marginal vorhanden. Gewiss sind sowohl Reinhard Würth als auch der verstorbene Herbert Batliner als Privatsammler zu sehen, die nach persönlich festgelegten Kriterien sammelten. Gezeigt in der Öffentlichkeit kann es dennoch nicht um das Abfeiern einer Sammlerleidenschaft gehen, sind doch Museumsdirektoren einem Bildungsauftrag verpflichtet und haben museale Grundsätze zu befolgen. Kritik an den Präsentationen kann daher keineswegs dem WIE des Sammelns gelten, sondern der kuratorischen Auswahl, der Präsentation und dem Blick, mit denen zwei Museumsdirektoren sich rühmen, die Moderne für ein breites Publikum ultimativ aufbereitet zu haben.

Der Duktus beider Ausstellungen ist ähnlich. Beide Präsentationen beanspruchen eine Deutungshoheit, die sich auf eine Kunstgeschichte beruft, die die Zeit von ca. 1900 bis zur Jahrhundertmitte als Ismen darstellt, eine in der Kunstgeschichte immer schon gebräuchliche Sicht, die aber in den letzten Jahrzehnten etliche Brüche erfahren hat. Um die Ismen konsistent zeigen zu können, braucht man das richtige Werk aus der richtigen Zeit, ein Unterfangen, das in Europa und den USA nur wenige Häuser leisten können. Die Auswahl, die Schröder und Wipplinger aus den beiden Sammlungen nun zeigen, ist dazu kaum in der Lage. So sind es etwa in der Sammlung Würth bei Oskar Schlemmer und Frantisek Kupka entweder sehr frühe oder sehr späte Werke, die die Künstler charakterisieren. Bei Batliner verhält es sich nicht unähnlich. Das Problem des Spätwerks kennen viele Sammler der Nachkriegszeit. Es betraf auch Werner Hofmann, der freilich weit weniger finanzielle Möglichkeiten hatte als Batliner und Würth. Hofmann allerdings versuchte mit historischen und diskursiven Kontexten die Schwächen und Fehlstellen, die er nicht verhehlte, auszugleichen. Die Vermittlung der Moderne war ihm ein großer Auftrag, wofür er Publikationen, Filme, Fotografien und Architekturmodelle heranzog. Keineswegs hätte er eine seiner Ausstellungen unter dem anbiedernden Titel „Amazing“ präsentiert.

Wie gehen Schröder und Wipplinger konkret vor? In einzelnen mit Wandfarben versehenen Räumen, die im Leopold Museum großzügiger ausfallen als in den mitunter engen und gedrängten der Albertina, geht man von Bild zu Bild, denn es sind vor allem Gemälde zu sehen neben Graphiken und einigen wenigen Skulpturen. Ephemera oder Fotografien kommen nicht vor. Im Leopold Museum wird die Sammlung auf zwei Ebenen präsentiert, wobei die untere der klassischen Moderne des Sammlers gewidmet ist. In einem einführenden Video zur Ausstellung auf der Homepage des Museums spricht Hans-Peter Wipplinger von einer Erzählung, die die Kunstgeschichte entwickelt hat und die von der Ablöse von einem Ismus zum nächsten bestimmt ist, hält also am linearen Modell der Moderne fest, das er in stilistischen Abfolgen zu erklären sucht. Tatsächlich setzt die Ausstellung mit Max Beckmann, mit Max Ernst oder Picasso oft auf Werkgruppen, die anstelle einer Gesamtdarstellung einzelne Künstler:innen umfangreicher darstellen, was sehr viel schlüssiger ist. Wesentliche Richtungen der Moderne wie Futurismus, die russische Avantgarde oder Dada kommen nicht vor, auch wenn Oskar Schlemmer anlässlich einer Publikumsführung als Vertreter von Dada bezeichnet wurde. Von Max Ernst besitzt die Sammlung eine Gruppe sensationeller Spätwerke.

Die Sammlung Batliner wird derzeit unter dem Titel Von Monet bis Chagall. Die Sammlung Batliner gezeigt, da Picasso eine eigene Präsentation auf einer anderen Ebene hat. Beginnend mit Monet, mit den Impressionisten und Postimpressionisten ist es ein Raum mit August Macke oder Franz Marc, der in die Moderne führt. Gleich hier wird deutlich, dass die Sammlung Batliner keine geschlossene Narration der Aufbruchsjahre um 1910 leisten kann, hingegen es die Sammlung von Othmar Huber ist, die in diesem dritten Raum die wichtigen Bilder beisteuert. Immer wieder ergänzen in der Albertina Leihgaben die Präsentation, wie ein Gemälde von Francis Picabia der Familie Broere. Neben dem Impressionismus ist der Expressionismus ein Schwerpunkt. Der Expressionismus, der von der abstrakten Avantgarde immer schon belächelt und in der ersten Gesamtdarstellung der Ismen von Hans Arp und El Lissitzky kritisch-humorvoll als „der falsche Hase, das metaphysische deutsche Beefsteak, aus Kubismus und Futurismus gehackt“ (1) bezeichnet wurde, ist in beiden Sammlungen ausführlich vertreten, wobei in der Sammlung Würth der Schwerpunkt auf Ernst Ludwig Kirchner liegt.

Schröder hat besonders diesen Teil, aber auch andere mit aufwändigen aus der Zeit stammenden oder nachgebildeten Rahmen versehen, die ein international renommierter Fachmann hergestellt hat. Wie wichtig der richtige Rahmen ist, zeigt die Sammlung Batliner deutlich, wobei sich gleich auch die Frage stellt, wer die Kosten dafür übernommen hat. Die Bilder von Würth würden vielfach gewinnen, wenn sie sich von so manchem braunen Rahmen mit doppelten Goldleisten verabschieden würden. Besonders bei den beiden Bildern von Paula Modersohn-Becker wird dies deutlich, deren eines einen alten, das andere aber den störenden braunen Rahmen mit Leinen-Passepartout hat.

Nach dem Expressionismus mischt Schröder mit österreichischer Zwischenkriegszeit auf, zeigt schließlich Wassily Kandinsky und Paul Klee wieder aus der Sammlung Huber und muss sich oft mit der Sammlung Forberg behelfen. Es ist mit den Ismen und einer Gesamtdarstellung der europäischen Moderne in der Sammlung Batliner nicht so weit her. Zumal wenn man zum dezimierten Bestand der russischen Avantgarde kommt, wo die 2017 entdeckten Fälschungen von Ljubov Popowa, Alexandra Exter, Alexander Rodtschenko oder El Lissitzky eine große Lücke hinterlassen haben.

Knapp ist die Betextung in beiden Häusern gehalten, Kataloge zum Nachschlagen liegen nicht auf, so dass man sich mit den Raumtexten und gelegentlichen Werktexten behelfen muss. In den Texten ist in „Amazing“ viel die Rede von Künstler:innen, die nicht gezeigt werden. So kann man etwa bei einer Führung zur Werkgruppe von Hans Arp über die Wichtigkeit von Sophie Taeuber-Arp hören, die eben nicht vorkommt. Der längste Text findet sich bei einem Werk von Kirchner, das den Originaltitel Negertänzerin trägt. Hier wird das Leopoldmuseum plötzlich sehr gesprächig und hat es sich nicht nehmen lassen, die „böse“ Kolonialgeschichte in aller Kürze darzustellen. Der Werktext zu zwei späten „Gemälden“ von Sonia Delaunay, die tatsächlich Graphiken sind, sagt uns, dass es die aus Stoff genähte Decke für ihren Sohn Charles war, die der Auslöser für den Orphismus – ein Begriff, den tatsächlich Guillaume Apollinaire geprägt hat – war, obwohl die rhythmisierenden Farbharmonien der Frühzeit von Robert und Sonia Delaunay zur Erklärung der hier gezeigten Spätwerke keine Rolle spielen. Dass der textilen Moderne ein so großer Stellenwert, wenn nicht Gründungsmythos eingeräumt wird, obwohl die Sammlung kein einziges Werk „angewandter“ Kunst enthält, ist verwunderlich.

Schröder und Wipplinger halten an einer in jeder Hinsicht reduzierten und genormten Moderne fest. Dabei war die Moderne von Anbeginn an ein sehr komplexes Phänomen. Dies zeigt etwa die erste Historisierung der Ismen, die Kunstismen von Hans Arp und El Lissitzky von 1925: Gleichermaßen ein immer noch aktuelles Nachschlagewerk wie eine künstlerisch motivierte Gesamtdarstellung der Moderne, die von 1925 beginnend mit dem abstrakten Film über Konstruktivismus, Verismus, Proun, Kompressionismus, Merz, Neo-Plastizismus, Purismus, Dada und Simultanismus zu Suprematismus und schließlich von den Metaphysikern zu Abstraktivismus, Kubismus, Futurismus und Expressionismus zum Jahr 1914 führt. Medienvielfalt sowie Fragen von Architektur waren ebenso eingebunden wie Schriften von Künstlern als Referenz erwähnt werden. Mit Abfolgen und Verweisen können Unterschiede oder Verbindungen erschlossen werden. Wie Amalia Kirikova (2) betont, ist es ein mit Bildern aufgezeigtes Ordnungsmodell, das die Moderne retrospektiv von 1925 bis 1914 aufrollte, aber auch ein dreidimensionales Schaubild. Man könnte ebenso sagen, es ist eine Ausstellung, die nicht realisiert wurde.

Ausstellungsmacher wie Hans Tietze oder Werner Hofmann haben das Buch bekannt, das El Lissitzky als „letzte Truppenschau aller Ismen“ bezeichnete. Hofmanns Vorstellungen waren letztendlich denen der Kunstismen nicht so unähnlich. Berufen konnte er sich auch auf Hans Tietze, der mit seiner umfassenden Ausstellung Die Kunst in unserer Zeit (1930) Einblicke in die Moderne mit einem Rückblick auf die Jahre 1910/11 verband. Barrieren zwischen angewandter und freier Kunst spielten auch bei Tietze keine Rolle. Die Vielstimmigkeit dieser Ausstellung mit dem Blick auf die wichtigen Jahre der Moderne könnte man unseren Direktoren nahelegen, eine Vielstimmigkeit, die auch heute mit Ausstellungen über Friedl Dicker oder Charlotte Salomon, mit einem Blicken auf Kollektive, Verbindungen oder Denkräume gegeben sind, die in Publikationen, aber auch in Ausstellungen wie etwa den zahlreichen Ausstellungen rund um das Jubiläumsjahr des Bauhauses ein komplexes und immer wieder neu sich erweiterndes Bild der Moderne aufzeigen.

1 Hans Arp/El Lissitzky, Die Kunstismen, Erlenbach-Zürich, München und Leipzig 1925, S. VIII.

2 Amalia Kirikova, Hans Arp/El Lissitzky, Die Kunstismen; https://www.kulturwissenschaften.uni-hamburg.de/ks/ueber-das-institut/ausstellungen/genealogies-dateien/9-kirikova-ismen1.pdf (Zugriff 24.05.2023)

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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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