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Krzysztof Pomian über

das Ende des Museums

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das Ende des Museums

Krzysztof Pomian: Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen?

Nicht nur wegen der Pandemie: Schwarze Wolken ziehen auf über der zweihundert Jahre alten Institution Ausstellungshäuser.

Wenn ich vor einem Jahr über die Zukunft der Museen hätte schreiben sollen, hätte ich einfach die Trends, in der Mehrzahl waren es Wachstums- und Erfolgstrends, die in diesem Bereich seit mehr als einem halben Jahrhundert wirksam sind, aufgezählt und wäre zu der - durchaus vernünftigen - Annahme gelangt, dass sie sich fortsetzen würden.

All dies scheint plötzlich veraltet. Die Annahme, dass sich die positive Entwicklung fortsetzen werde, ist durch den Ausbruch eines unvorhergesehenen Ereignisses entkräftet worden: der Covid-19-Pandemie. An deren Beginn von einer französischen Zeitschrift gefragt, wie ihre Auswirkungen auf die Museen sein würden, sagte ich, sie würden schwach sein. Ich habe mich vollständig geirrt. Heute, mehrere Monate später, können wir sehen, dass die Pandemie eine Katastrophe für die Museen war, die sie gezwungen hat, für mehrere Monate zu schließen, und deren Besucherzahlen sie reduziert hat, indem sie Gesundheitsstandards mit verheerenden Folgen für Budgets und Projekte erzwang. Und ihre Wirkung ist bei weitem noch nicht absehbar. Neben der Vernichtung von Menschenleben und der schweren Belastung der Wirtschaft ist eine ihrer gravierendsten Folgen, dass sie die Zukunft unvergleichlich unberechenbarer gemacht hat als zuvor.

Da das Coronavirus, das Covid-19 verursacht, immer noch einen Teil seines Geheimnisses bewahrt hat und der Impfstoff auf sich warten lässt, weiß niemand, was die Pandemie in wenigen Wochen, geschweige denn Monaten oder Jahren, bewirken wird. Wir können uns daher nur verschiedene Szenarien ausmalen, ohne zu wissen, welches von ihnen die besten Chancen haben wird, einzutreten.
Von den drei denkbaren ist das erste optimistisch: Es behandelt die Pandemie als Unfall ohne Langzeitfolgen. Es lässt die vertraute Entwicklungsdynamik der letzten Jahrzehnte wieder in Gang kommen. Aber diese einfache Rückkehr zur Normalität scheint unwahrscheinlich. Das entgegengesetzte zweite Szenario besagt, dass sich die Pandemie verstetigt und an Intensität zunimmt, mit allen damit verbundenen Auswirkungen: Wiedereinführung der Grenzschließungen und der Quarantänen, drastische Reduzierung des Flugverkehrs und des internationalen Tourismus, teilweise Isolierung der Bevölkerung und Beschränkung der Mobilität auf das unbedingt Notwendige, Schließung öffentlicher Orte, die die Zahl von Begegnungen zwischen Menschen erhöhen und damit die Ausbreitung des Virus begünstigen könnten.

Dies würde die Museen dazu zwingen, in den Überlebensmodus zu wechseln: einen Teil ihres Personals zu entlassen, soweit das rechtlich möglich ist - einige amerikanische Museen haben dies bereits getan -, die Kosten auf ein nicht weiter reduzierbares Niveau zu senken, bezahlte Online-Aktivitäten zu entwickeln und dafür ein großes Publikum zu finden, Besuche von kleinen, vorher getesteten Gruppen zu organisieren und darauf zu achten, dass diese auf Distanz zueinander bleiben. Die Folgen für die jeweiligen Haushalte wären katastrophal, da ohne entsprechende Einnahmen die Gehälter des Personals, die Instandhaltung der Gebäude und die Pflege der Sammlungen ausschließlich aus öffentlichen und privaten Mitteln bezahlt werden müssten, die nur geringen Spielraum für kulturelle Programme ließen.

Kommen wir zum dritten Szenario, das damit rechnet, dass die gegenwärtige Situation der Pandemie andauert und über Jahre hinweg besteht. Das Virus ist noch da, aber es bedarf keiner extremen Maßnahmen, um es unter Kontrolle zu halten. Selbst wenn dieses Szenario weniger katastrophal wäre als das der galoppierenden Pandemie, wären wir immer noch Zeugen einer Infragestellung jenes Wirtschaftsmodells, das seit langem das Funktionieren und Gedeihen von Museen ermöglicht hat. Wo sie von privaten Sponsoren abhängig sind, würden die Häuser Gefahr laufen, diese zu verlieren. Und dort, wo sie, wie in Europa, den größten Teil ihrer Mittel aus staatlichen oder kommunalen Haushalten erhalten, wäre es nicht besser, denn die Notwendigkeit, zunächst die durch die Pandemie verursachten Schäden auf Seiten der Unternehmen zu beheben und die damit verbundenen Mehrkosten auszugleichen, würde die Budgets der Kultureinrichtungen letztlich dramatisch schrumpfen lassen. Gleichzeitig wäre der internationale Besucherstrom, selbst wenn er auf höherem Niveau läge als bei einer Schließung der Grenzen, stark rückläufig, und es ist nicht zu erwarten, dass der Besuch aus dem Inland den Ausfall der ausländischen Museumsbesucher und der wirtschaftlichen Nebeneffekte ihres Aufenthalts ausgleichen kann.

Kurz gesagt, alle positiven Trends, die seit den fünfziger oder siebziger Jahren je nach Land am Werk waren, würden in einigen Fällen ganz gestoppt und in anderen stark abgeschwächt, was wahrscheinlich die Tendenz zu einer weiteren Kommerzialisierung der Museen noch verstärken würde, um deren Lebensfähigkeit zu sichern - auf die Gefahr hin, ihre Bestimmung zu gefährden, die darin besteht, ihren Sammlungen eine unbegrenzte Zukunft zu sichern. Alles deutet darauf hin, dass die große Ära des Aufstiegs der Museen und ihrer zunehmenden Bedeutung im öffentlichen Leben seit fünfzig bis siebzig Jahren auf dem Weg ist, eine Sache der Vergangenheit zu werden, ein Goldenes Zeitalter, dessen Erinnerung künftige Generationen zum Träumen bringen wird.

Selbst nach der besten aller Hypothesen, einer Rückkehr zum Zustand vor Covid-19, sieht die Zukunft der Museen nicht rosig aus. Die Ursachen für diese Verdüsterung sind komplex und ergeben sich nicht aus einem plötzlichen Ereignis wie der Pandemie oder aus Schwankungen der wirtschaftlichen oder geopolitischen Lage, die ebenfalls eine Rolle spielen können; es genügt, an die möglichen Auswirkungen einer Krise zu denken, die noch tiefer ginge als die, die wir gerade erlebt haben, oder an einen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten als Führungsnation des westlichen Lagers und China, ob dieses nun mit Russland verbündet wäre oder nicht. Solche Ereignisse sind das Ergebnis struktureller Veränderungen, das Produkt von langsam und über einen langen Zeitraum wirkenden Kräften - Veränderungen, die sich auf die grundlegenden Überzeugungen unserer Gesellschaften auswirken, wie sie auch in den Museen zum Ausdruck kommen.

Infolge der Verlagerung des Schwerpunkts von der Vergangenheit in die Zukunft, die sich im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben des Westens zwischen dem zwölften und neunzehnten Jahrhundert vollzogen hat - mit Beschleunigungen im fünfzehnten und achtzehnten Jahrhundert, also den als Renaissance beziehungsweise Aufklärung bezeichneten Epochen -, orientierten sich diese Überzeugungen nicht mehr an einer fernen Vergangenheit, jener der Ursprünge, sondern wandten sich der Zukunft zu, einer Zukunft jenseits des überschaubaren Zeithorizonts. Mit anderen Worten, sie hörten auf, vergangenheitsbezogen zu sein, um futurozentrisch zu werden. Gleichzeitig hörte die Idee der Zeit, die ihnen zugrunde liegt, auf, eine Idee des Rückbezugs zu sein, und wurde zur Idee einer progressiven Bewegung. Auch wenn wir nicht mehr an den Fortschritt glauben, wie man ihn sich im neunzehnten Jahrhundert vorstellte, so bleibt unsere Zeit doch die des Wachstums der Weltbevölkerung, der Verlängerung der Lebenserwartung, der Verbesserung der Lebensbedingungen und des Fortschritts in Medizin, Wissenschaft und Technik. Das gibt uns die Hoffnung, dass wir am Ende auch Covid-19 und andere Viren, die uns anzugreifen drohen, besiegen werden.
Die treibende Kraft hinter dieser Bewegung ist die Fähigkeit des Menschen, noch nie dagewesene Objekte zu erfinden, neue Formen hervorzubringen, kollektives Verhalten zu programmieren, das mit alten Routinen bricht, Barrieren zu überwinden, die jahrtausendelang unüberwindbar schienen wie die der Sinne oder die der Schwerkraft, um die Deiche des Verbotenen zu brechen. Um eine Zukunft herbeizuführen, die sich von der Gegenwart unterscheidet, oft zum Besseren, manchmal zum Schlechteren - und wo es zum Schlechteren war, bedeutete es den Horror der Sklaverei und Ausbeutung, der Massenmorde, der kolonialen Unterdrückung, der Todeslager.

Die Zuschreibung dieser Fähigkeit zur Innovation, kreativ und destruktiv, bewundernswert und abscheulich, an den Menschen ist der Kern unserer kollektiven Überzeugungen und verleiht ihnen ihre spezifische Form. Sie unterscheiden sich prinzipiell von den vormaligen vergangenheitsfixierten und theozentrischen Überzeugungen, sie sind historisch neu, anthropozentrisch und futuristisch. Und sie zerfallen in eine widersprüchliche Pluralität nicht von Religionen oder Konfessionen, sondern von Ideologien.

Das Museum als Institution ist direkt abhängig von diesen modernen Überzeugungen, mit denen es im fünfzehnten Jahrhundert geboren wurde und im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert seine besondere Ausprägung erhielt. Wenn sein Auftrag lautet, die Überreste der Vergangenheit in einem Zustand, der dem ursprünglichen möglichst nahekommt, für eine unendlich ferne Zukunft zu bewahren, dann deshalb, weil diese Überreste Zeugnisse der menschlichen Innovationskraft sind - ihrer Erfolge und Fehlschläge, ihrer Wohltaten und ihrer Verbrechen. Und deshalb, weil ein anderer Glaubensakt voraussetzt, dass die Menschen, die in unbestimmter Zukunft kommen werden, im Wesentlichen wie wir sein und unter Bedingungen leben werden, die es ihnen ermöglichen, sich für uns zu interessieren, so wie wir uns für unsere Vorgänger interessieren, und sich bis zu einem gewissen Grad mit uns zu identifizieren, so wie wir uns mit unseren wirklichen oder vermeintlichen Vorfahren identifizieren. Ohne einen Akt des Glaubens an die Innovationskraft des Menschen, der bis vor kurzem meist schöpferische Kraft zugesprochen wurde, und ohne einen Akt des Glaubens an die Kontinuität zwischen uns und der Zukunft, so fern diese auch sein mag, wäre das Museum gleichsam ein Tempel, der von dem Glauben, der ihn beseelte, verlassen wurde. Es hätte seinen Sinn verloren.

Seit rund fünfzig Jahren sind wir Zeugen der Entstehung, Behauptung und Verbreitung einer Ideologie, die wie alle Ideologien eine Zukunftsvision präsentiert und kollektive Verhaltensweisen geprägt hat. Wie alle Ideologien behauptet sie, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beruhen, und in der Tat scheint sie das in gewissem Maße zu tun. Aber im Gegensatz zu den bis vor kurzem herrschenden Ideologien propagiert diese umweltpolitische Ideologie eine Zukunftsvision, deren Eintreten sie doch um jeden Preis verhindern will. Die Zukunft, die sie sich vorstellt, ist eine von Katastrophen: globale Erwärmung, steigender Meeresspiegel und schrumpfender Lebensraum, erzwungene Migrationen, Hungersnöte, Epidemien und schließlich Zusammenbruch der Zivilisation und Elend. Diese Zukunft wurde von Menschen geschaffen, die sie durch ihr Zerstörungswerk an lebenden Arten, Bodenschätzen und dem Gleichgewicht der Natur ständig verschlimmern. Seit wann? Für einige seit der Industriellen Revolution, für andere seit der Jungsteinzeit, aber wir könnten bis zur Beherrschung des Feuers zurückgehen. Wie dem auch sei, für die Ökologenideologie ist eines klar: Der Homo sapiens - und vielleicht galt das schon für den Homo habilis - ist mit Sicherheit ein böses Wesen. Seine angebliche schöpferische Kraft ist der Ökologie zufolge in Wahrheit eine schädliche Macht, die schlimme und irreversible Veränderungen planetarischen Ausmaßes hervorruft. Die Überreste der Vergangenheit, seien es Werke der Kunst oder der Technik oder historische Relikte, verdienen es nicht, bewahrt zu werden, außer vielleicht als Beispiele dafür, wie man es nicht machen sollte.

Da die Zukunft eine Serie von Katastrophen sein wird, werden die unglücklichen Menschen, die sie durchleben müssen, auf jeden Fall andere Sorgen haben, als sich für die Überreste einer Vergangenheit zu interessieren, die schuld an ihrer unheilbaren Notlage ist. Sicherlich ist die radikale Ökologie auch ein anthropozentrischer und futuristischer Glaube. Sie ist aber auch ein radikaler Antihumanismus. Als solcher verweigert sie den Museen jegliche positive Bedeutung, sie kann sie nur als Tempel eines Glaubens ansehen, der bekämpft und beseitigt werden muss. Ihr Sieg, sollte er je eintreten, würde das Ende der Existenz von Museen bedeuten. Deren Zukunft ist infolgedessen weit weniger sicher, als man es sich vorstellen mochte.
Der einzige Trost: Seit der Zeit der astrologischen Prognosen geht bekanntlich jeder, der sich erkühnt, über die Zukunft zu sprechen, auch das Risiko ein, sich schwer zu irren. Hoffen wir, dass dies auch für unseren Fall gilt.  

Krzysztof Pomians Text basiert auf einem Vortrag beim Martin-Roth-Symposion "Museum Futures" des Instituts für Auslandsbeziehungen gehalten hat. Er erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 24.11.2020, Nr. 274, S. 12. Wir drucken den Text mit Erlaubnis des Autors unverändert ab.

Wir haben Herrn Pomian um eine Interview zu seinem Text eingeladen und ihm Fragen zugesendet. Eine Antwort hat er uns erst für September in Aussicht gestellt.

Krzysztof Pomian wurde am 25. Januar 1934 in Warschau) geboren, studierte in den Jahren von 1952 bis 1957 an der dortigen philosophischen Fakultät, wo er auch promovierte und sich habilitierte. 1966 wurde er aus der kommunistischen Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) ausgeschlossen, da er regimekritische Positionen einnahm. 1973 ging er nach Frankreich ins Exil, wo er in Paris Centre national de la recherche scientifique (CNRS) tätig war. Daneben lehrte er zum Beispiel an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) und an der École du Louvre. In Deutschland ist er vor allem durch sein Buch Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln bekanntgeworden (1988). 2020 ist der erste Band einer dreibändigen Museumsgeschichte erschienen, Le musée, une histoire mondiale. Du trésor au musée.

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