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Angelika Fitz über das Museum als Change Maker.

Für ein Museum das wirkt

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Für ein Museum das wirkt

Angelika Fitz

Ein Museum für Architektur und Zukunft

Wie wir jetzt bauen, ist mitentscheidend, ob Europa 2050 klimaneutral sein wird, wie es der Green Deal der EU-Kommission vorsieht. Vor allem aber müssen wir uns weitaus ehrgeizigere Ziele setzen, sonst drohen menschengemachte ökologische Katastrophen den Planeten unbewohnbar zu machen, während eine kapitalgetriebene Architektur den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter gefährdet. Das Recht auf Wohnen, Klimaschutz und Klimawandelanpassung, die Gestaltung öffentlicher Räume, Mobilitäts- und Energiewende, eine flächenschonende Raumplanung, Materialkreisläufe, Nutzung von Bestand, Digitalisierung, Räume, die Gesundheit fördern: es braucht öffentliche Orte, an denen diese Themen übergreifend verhandelt werden. Ein Architekturmuseum neuen Typs kann das leisten.

Museum als Change Maker

Seit dem Club Rome Bericht 1972 sollten wir wissen, dass einzelne Anpassungen oder technologische Innovationen nicht reichen werden. Seit Fridays for Future wird die Notwendigkeit eines Systemwandels endlich breit diskutiert. Ähnlich wie das NEB (New European Bauhaus) versteht sich das Architekturzentrum Wien als Change Maker. Als lokal verankerte und international ausstrahlende Institution, als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft und vor allem mit einer erweiterten kuratorischen Expertise hat ein Architekturmuseum einzigartige Möglichkeiten wirksam zu werden, einige davon möchte ich hier kurz skizzieren. Während die meisten Architekturmuseen sich auf Architektur- und Designgeschichte konzentrieren, verfolgt das Az W eine konsequent gesellschaftliche Perspektive. Es zeigt, diskutiert, sammelt und erforscht, wie Architektur, das tägliche Leben aller Menschen prägt. Es führt unterschiedliche Wissenssorten zusammen, um der Fragmentierung der Gesellschaft entgegenzuwirken. So auch in der neuen Schausammlung des Az W, die Architektur als Kulturgeschichte in all ihren politischen, ökologischen, sozialen, ökomischen Dimensionen zeigt. Sieben brennende Fragen, darunter „Wie überleben wir?“ oder „Wer macht die Stadt?“, stellen die Exponate in den Horizont der Gegenwart. Ein Blick hinter die Kulissen komplexer gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und die Einbeziehung der Perspektive der Nutzer*innen machen die Auswirkungen von Architektur und Planung auf breiter Ebene erfahrbar.

Ein Museum das wirkt

Eines dieser komplexen Themen, dass alle für zentral halten, und dennoch ändert sich nichts, ist die Bodenpolitik. Es braucht offenbar mehr gesellschaftlichen Druck, damit die Politik ins Handeln kommt. Unsere Ausstellung und Publikation „Boden für Alle“ (Az W 2020, Kuratorinnen Karoline Mayer, Katharina Ritter) veranschaulichen einerseits die Dringlichkeit – von Ernährungsicherheit über Leistbarkeit bis zu Katastrophenschutz – und vermitteln andererseits, das notwendige Wissen, in dem sie Interessenslagen und Zuständigkeiten ordnen, Alternativen aufzeigen und vor allem zur Selbstreflexion zwischen Eigennutz und Gemeinwohl einladen. Aufgrund der großen Nachfrage von Bürgerinitiativen, Bildungsinstitutionen, aber auch Gemeinderäten stellen wir seit 2021 zwei Wanderversionen der Ausstellung zur Verfügung, die durch kleine und große Gemeinden touren – mit inzwischen 20 Stationen. Und wenn dann ein Bürgermeister berichtet, er will die Ausstellung zeigen, um der Bevölkerung die Notwendigkeit eines Widmungsstopps von neuem Bauland zu erklären, dann sind wir dem Ziel der Wirksamkeit ganz nahe.

Ein involviertes Museum

Dominiert von den Interessen des Kapitals sind Architektur und Urbanismus in die ökologischen und sozialen Krisen verstrickt. Soweit die schlechte Nachricht. Architektur kann aber auch Teil der Lösung sein, so die gute. Dafür braucht es eine neue Haltung in der Architektur und eine planetarische Perspektive, die für das Überleben aller Bewohner*innen und Spezies Sorge trägt. Eine solche umfassende Haltung des Sorgetragens will das Projekt „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“ (Az W, seit 2017, Kuratorinnen Angelika Fitz, Elke Krasny) im Baugeschehen verankern. Zu Beginn des Projekts verließ das Az W die Mauern des Museumsquartiers und öffnete einen öffentlichen Arbeitsraum im Stadtentwicklungsgebiet am Wiener Nordbahnhof, um als Teil eines angewandten Forschungsprojekts Care-Praktiken zu erproben. Gab es zu Beginn noch leichte Häme und Fragen, ob Architekten jetzt Pflegekräfte werden sollen, so hat das Care Thema, angetrieben durch die Erfahrungen von Pandemie und Klimakrise, inzwischen Konjunktur. Die „Critical Care“ Publikation, die 21 Fallstudien aus vier Kontinenten analysiert, wird, wie unzählige Vortragseinladungen zeigen, weltweit an Architekturfakultäten rezipiert, und die Ausstellung tourt auch 2022 noch durch Europa, sie hat gerade ihre sechste Station im VAi in Antwerpen eröffnet.

Es ist schön, dass mit dem NEB nun auch die Europäische Kommission die Rolle von Architektur und Planung bei der Gestaltung des dringend notwendigen Systemwandels benennt. Noch wichtiger wäre, dass die EU durch den Umbau von Rahmenbedingungen auf den bauindustriellen Komplex einwirkt. Während dessen machen wir das, was wir als Architekturmuseum am besten können.

Angelika Fitz ist seit 2017 Direktorin des Architekturzentrum Wien. Zuvor war sie als Kuratorin, Gastprofessorin und Autorin im Bereich Architektur und Urbanismus tätig. Ihre Schwerpunkte sind die gesellschaftliche Kontextualisierung von Architektur, der Umgang mit Ressourcen und eine planetarische Perspektive.

Die Wiedergabe des Textes erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Autorin. Er stammt aus der Bauwelt Deutschland, 24.06.2022 1/2

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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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