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Susanne Neuburger über das Das scheidende Museum?

Gedanken zu Krzysztof Pomians Katastrophenszenario

Apparatus 22, STILL LIFE (APPETITE), aus der Serie Repository & Love, 2017Courtesy artists and Suprainfinit Gallery Bucharest
Apparatus 22, STILL LIFE (APPETITE), aus der Serie Repository & Love, 2017Courtesy artists and Suprainfinit Gallery Bucharest
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Gedanken zu Krzysztof Pomians Katastrophenszenario
Apparatus 22, STILL LIFE (APPETITE), aus der Serie Repository & Love, 2017Courtesy artists and Suprainfinit Gallery Bucharest


Der von Krzysztof Pomian prominent in der FAZ lancierte Artikel „Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen?“ hat uns erstmals mit dem möglichen Verschwinden des Museums konfrontiert. Pomian scheint Anleihen bei Paul Virilio genommen zu haben, wenn er dessen „rasenden Stillstand“ als Endstadium einer Periode steter Beschleunigung auf das Museum überträgt: Wenn die kommenden Klimakatastrophen jeglicher Erinnerungskultur eine positive Bedeutung verweigern und der Vergangenheit nichts mehr Zukunftsträchtiges abgewonnen werden kann, so Pomian, wird die Institution obsolet.

Pomian konfrontiert uns damit mit einer uchronischen Konzeption, die uns wohl so etwas wie ein Archiv ohne Erinnerung hinterlässt, eines, das also abwesend und anwesend zugleich ist. Es wäre dann ein großes Depot, dessen Betreuung allerdings auch ohne laufenden Museumsbetrieb recht aufwändig wäre. Auswege sieht Pomian für dieses Szenario keine, wohl aber nennt er die Folgen der derzeitigen Corona geschuldeten Krise wie wirtschaftliche Defizite, eine zunehmende Kommerzialisierung und Besucherverluste an Touristen, die nicht durch jeweils inländische Besucher ausgeglichen werden können. Zusätzlich würden von ihm nicht näher definierte globale Veränderungen die Zukunft der Museen in Frage stellen und ihr Goldenes Zeitalter beenden. Pomian argumentiert in diesen Punkten vergleichbar mit anderen Autoren wie Nina Schedlmayer im „Profil“ oder Stephan Hilpold im „Standard“ in der Serie „Die Zukunft der Kultur“. Der Museologe Gottfried Fliedl macht es an der folgenden Frage fest: „Ist es wahrscheinlicher, dass die Museen nachhaltig und konsequent eine andere Politik, eine andere Geschichts- und Erinnerungskultur entwickeln, neue organisatorische, mediale, inhaltliche usw. Wege einzuschlagen oder ist es wahrscheinlicher, dass es weitgehend so bleibt wie bisher?“¹ Den österreichischen Museumsdirektor*innen bescheinigt er Halbherzigkeit, Arroganz und ein Beharren auf der bloßen Gegebenheit der Institution Museum und schließt, dass sich wohl nicht viel ändern werde. Es war unter den Direktor*innen der Bundesmuseen meines Wissens nach auch niemand dabei, der sich öffentlich zu dem prominent lancierten Artikel Pomians in der FAZ vom 24. November 2020 geäußert hätte. Warum nicht? Interessiert sie das nicht?

Ein Jahr nach Corona bringt ein Lokalaugenschein denn auch kaum mehr ans Licht als das „Fremdenei“ von Klaus Albrecht Schröder. Schröder hatte in einem bizarren Ablenkungsmanöver die Frage des Abgleichs von in- und ausländischen Besucher*innen mit einer Eloge über Österreichs Fremdenfeindlichkeit geantwortet und uns erklärt, dass der Blockbuster nicht das angestrebte Ausstellungsformat der Albertina wäre, sondern eine Riesenbombe aus dem 2. Weltkrieg, die ganze Wohnblöcke auf einmal zerstören kann. Wann auch immer sich einer der Direktor*innen zu Wort meldet, hat man den Eindruck einer gereizt ungehaltenen Verteidigungshaltung. Frei nach Pomian könnte man sagen, sie bewahren verzweifelt, was frei nach Virilio bald verschwunden sein wird. 

Hirngespinste? Das dachte man auch 2017 angesichts einer Frage von Martin Fritz, die Nina Schedlmayer ihrem Beitrag im „Profil“ voranstellt: Was wäre das Museum ohne Tourist*innen? Längst wurde die Forderung nach freiem Eintritt immer wieder laut. Nach einem Jahr Corona fragt man sich, warum nicht angesichts des derzeitigen Ausfalls der Einnahmen ein eventuell zeitlich beschränktes Pilotprojekt mit freiem Eintritt in den Bundesmuseen lanciert wurde, das im Übrigen auch dazu hätte dienen können, die vielzitierten lokalen Besucher*innen besser kennenzulernen und neue Besucherschichten zu erschließen? Waren die Bundesmuseen, wie Fliedl das sieht, „im Konkurrenzkampf um ihren Status und um Quoten, den sie mit anderen kulturellen Institutionen und Events austragen“, lahmgelegt und hätten dadurch versäumt, „sich sowohl historisch in der Geschichte ihrer Institution fundiert zu definieren als auch sich als aktuell gesellschaftspolitische Akteure zu positionieren“?² Offensichtlich befindet sich das Museum in der Defensive, woraus kaum etwas entstehen kann, zumal wenn das historische Fundament, auf dem es ja aufbaut und von dem es im heutigen Zustand lebt und zehrt, zugunsten einer opportunistischen Haltung zu Politik und Sponsoren ins Hintertreffen gerät. 


Die beiden Fragen von Fliedl sind zentral für die aktuelle Museumsdebatte und besonders für die Kunstmuseen und zumal solche, die moderne und zeitgenössische Kunst zeigen, was in Wien ja fast alle Bundesmuseen betrifft. Ist es der kühle Blick von außen, der in die Mitte trifft und fundierte Kritik zu verbessern weiß oder kommt die Rettung von den Institutionen selbst? Hier wäre der Part der Kunst zu ergänzen, denn seit den Neoavantgarden haben die Künstler*innen einen wichtigen Beitrag zur Museumsdebatte und zu Fliedls Kernfragen geleistet. Bisweilen stellen sie sogar selbst die gesellschaftspolitischen Akteur*innen wie etwa im Projekt „Comunity-Outreach“ des Belvedere. Kuratiert von Christiane Erharter geht es dabei um einen „lebendigen Treffpunkt in einer stetig wachsenden Nachbarschaft. Mit dem Community-Outreach-Programm sprechen wir gezielt die unterschiedlichen Gruppen und Communitys im sozialen und räumlichen Umfeld des Belvedere 21 an und beziehen sie aktiv ein. Konkret geht es um gemeinsame Projekte zu thematischen Schwerpunkten, die außerhalb des Museums und im öffentlichen Raum umgesetzt werden.“ Es verwundert, dass Stella Rollig³, die sich als einzige Direktorin mit einem Kommentar in der Standardserie „Zukunft der Kultur“ zu Wort meldete, dieses komplexe Projekt, an dem viele Künstler*innen beteiligt sind, nur kurz erwähnt. Hat es doch gerade jene Kriterien vorzuweisen, die sich die Kritiker vom Museum wünschen.

Pomians Endzeitszenario spricht von Dystopie und Uchronie, von Stillstand und Erinnerungslosigkeit. Was die Uchronie betrifft, ist sie dem Museum nicht ganz fremd: Schon Bazon Brock hat die Begegnung mit historischen Epochen im Museum als „Zeitform der Uchronie“ bezeichnet, wenn Geschichte unmittelbar auf die gegenwärtigen Betrachter*innen trifft. Er bezeichnet es als Zustand des Dauernden, des Bewahrten. Auch zeitgenössische künstlerische Arbeiten sind bisweilen davon betroffen, wenn in so mancher musealen Darbietung die Zeitkonstruktion zwischen Geschichte und Gegenwart entstellen, sogar täuschen kann. Augenzwinkernd sagt uns einer der Kuratoren der Beethovenausstellung im Wiener Kunsthistorischen Museum angesichts des Fußbodens von Beethovens letzter Wiener Wohnung, dass es sich doch auch um ein Frühwerk von Beuys handeln könne. Kuratorischer Absolutismus im musealen Endzeitalter? Tatsächlich hat Beuys und mit ihm viele andere, wie Dieter Roth, die Fluxusbewegung oder zuletzt Stephen Prina in Beethoven weniger das Erhabene und Heroische gesehen, wie es die Wiener Ausstellung ganz im Geiste einer zeitlosen Postmoderne propagiert, als dass eine Gegenerzählung wie Beuys in Maurizio Kagels „Ludwig van…“ gesucht wird.


Die historische Basis scheint in der Museumsdebatte einigermaßen verbaut, würde aber nach Pomian sowieso keine Rolle mehr spielen. In der schon erwähnten Beethovenausstellung will uns eine Version des bekannten Hitlergrußes von Anselm Kiefer überzeugen, dass Kunst die Menschheit nur erheben kann, wenn sie das Gewicht der Geschichte zu tragen vermag.⁴ Es sei „das Härteste, das dem Besucher zuzumuten ist“.⁵ Warum? Ist uns die eigene Geschichte nicht zumutbar? Duchamp hätte uns auf den „regardeur“ als kundigen Partizipanten verwiesen. Von den Künstler*innen können wir in Bezug auf das Museum tatsächlich viel lernen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass sie das Museum nach Corona und vor dem Stillstand retten werden. Sowieso hat Pomian keine Rettung vorgesehen. Er verschweigt uns allerdings auch das Trauma, das die unerwünschte Erinnerung hinterlassen würde. Die heute so überaus dominante Erinnerungskultur, die mit Gedenktagen oder Denkmälern nicht nur das Museum betrifft, wäre dann wohl einer Amnesie zum Opfer gefallen, das Historische quasi mit dem Traumatischen identisch, bevor sich „Ausgrabungsstätten“ wieder in „Baustellen“ verwandelten. So nämlich argumentiert Hal Foster den archivalischen Impuls, eine Gegenerinnerung, die er an einigen künstlerischen Arbeiten verfolgt. Einmal mehr ist es die Kunst, die mit Pomians Szenario produktiv umzugehen weiß: Die fehlgeschlagene Vergangenheit zu erforschen und präsent zu machen, hieße dann, wie Sam Durant zu „Partially Buried Woodshed“ von Robert Smithson sagt: „Ich lese es als ein Grab, aber dieses ist fruchtbar“.⁶ Es gibt also Pläne für nach dem Stillstand, aber was geschieht tatsächlich davor und nach Corona?



¹Gottfried Fliedl, Man muss das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden:

https://museologien.blogspot.com/2020/12/man-mu-das-museum-verabschieden-konnen.html

Siehe auch Gottfried Fliedl, Am Ende. Das Museum:
https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html

²Ebenda

³https://www.derstandard.at/story/2000124420055/zukunft-der-museen-suendenfall-blockbuster-ausstellung

⁴Booklet zur Ausstellung „Beethoven bewegt“, S.16.

⁵„Beethoven bewegt“, Facebook live Tour mit Andreas Zimmermann:

https://www.youtube.com/watch?v=-pRTq83vhDo

⁶Zitiert nach Hal Foster, ein archivalischer Impuls, in Matthias Michalka (Hg.), The Artist as…, mumok 2006, S. 67.

Susanne Neuburger war bis 2019 Sammlungsleiterin und Kuratorin am Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien.

Ausstellungen (Auswahl): Kurze Karrieren (mumok 2004, mit Hedwig Saxenhuber), Nouveau Réalisme(mumok 2005), Konzept. Aktion. Sprache (mumok 2006, mit Achim Hochdörfer), Laboratorium Moderne (Mumok 2007) Nam June Paik. Music for All Senses (mumok 2009), The Moderns.Revolutions in Art and Science 1890–1935 (mumok 2010, mit Cathrin Pichler und Martin Guttmann), Reflecting Fashion. Kunst und Mode seit der Moderne (mumok 2012, mit Barbara Rüdiger), Josef Dabernig. Rock the Void (mumok 2014, mit Matthias Michalka), Wir Wegbereiter. Pioniere der Nachkriegsmoderne (mumok 2016, mit Marie-Therese Hochwartner), Oh. Jakob Lena Knebl und die mumok Sammlung (mumok 2017, mit Barbara Rüdiger, Kunst ins Leben.Der Sammlung Wolfgang Hahn und die 60er-Jahre (Köln, Museum Ludwig, mumok Wien2017, mit Barbara Engelbach), Photo/Politics/Austria (mumok 2018, mit MonikaFaber). 2010 Verleihung des Art Critics Award. Lehraufträge an der Kunstuniversität Linz und der Universität Wien.

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