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Roswitha Muttenthaler fragt nach

Methode und Zweck von Ausstellungsanalyse und -kritik

Ausstellung "Sündenbock". Schweizerisches Landesmuseum Zürich
Ausstellung "Sündenbock". Schweizerisches Landesmuseum Zürich
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Methode und Zweck von Ausstellungsanalyse und -kritik
Ausstellung "Sündenbock". Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Roswitha Muttenthaler: Was kann und soll Ausstellungsanalyse und -kritik? Ich versuche, Rezeption bzw. Analyse und Kritik zu trennen, auch wenn die Übergänge fließend sein können. Und ich möchte vorausschicken, dass nicht nur in Ausstellungen die Verortungen jener eingeschrieben sind, die sie machen, Analyse und Kritik sind ebenso von Verortungen geprägt.

Zur Rezeption und Analyse von Ausstellungen

Die Herausforderung für jede Rezeption ist, dass Ausstellungen ein hybrides Medium sind, da sich vielfältige Visualisierungsformen mit Raum und Text kreuzen: Jede Präsentation besteht aus komplexen Verknüpfungen von visuellen und schriftlichen Zeichensystemen in einem Raum – angefangen von der Architektur und der Wahl und Anordnung der Exponate über eine Vielfalt an gestalterischen Mitteln bis zum Einsatz einer Bandbreite von audiovisuellen Medien, Texten und Mitmach-Tools. All diese Komponenten tragen Bedeutungen, die von gesellschaftlichen Verfasstheiten und Positionierungen zeugen, und verweben sich im Zusammenspiel zu einer Textur von über- oder nebeneinander gelagerter Bedeutungsschichten. Ein- und Ausschlussverfahren sind dabei konstitutiv und in Bezug auf soziale Distinktionen, gesellschaftliche und ethnische Differenzierungen und Hierarchien sind sie immer auch umstritten.
Durch Gesten des Zeigens wird Wahrnehmung strukturiert und damit die Auseinandersetzung mit dem Präsentierten angeleitet, Erzählungen und Bedeutungen mehr oder weniger kanalisiert. Dieses Kanalisieren kann als Argumentationsform oder Statements von Ausstellungsmacher*innen. (1) beschrieben werden, die autoritativer oder dialogischer sein können, den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben oder Vielstimmigkeit zulassen können. Gleichzeitig unterliegt Visuelles nie ganz einer eindeutigen Lesart, erlaubt einen Spielraum an Interpretations- und Assoziationsmöglichkeiten und Wirkungen.
Jede Ausstellungserfahrung ist eine Raum-, Blick- und Körpererfahrung. Durch die unverrückbare Ortsgebundenheit der Ausstellung erfordert die Rezeption die Bewegung durch den Raum. Die Betrachtung ist nur z.T. vorstrukturiert, ein Ablauf wie im Film oder Theater ist nicht vorgegeben. Wohin ich zuerst gehe oder schaue, was ich wie lange betrachte, was ich wann lese, ob ich etwas auslasse, bleibt individuell überlassen. Es entsteht ein variierender Rezeptionsablauf.
Jede Besichtigung einer Ausstellung ist Rezeption. Doch hier soll in Bezug auf das Ziel einer Ausstellungskritik von keiner flanierenden oder selektierenden Weise der Rezeption gesprochen werden, sondern von einer, die versucht, die in der Ausstellung angelegten grundlegenden Konzeptionen und Deutungen zu erkennen. Eine solche Rezeption kann Basis für Kritik sein. Dennoch unterscheide ich trotz fließender Grenzen die durchaus fundierte Rezeption von der Analyse von Ausstellungen.
Eine Analyse ist getragen von einer systematisch-planvollen bzw. methodischen Vorgangsweise. Die individuelle Zusammenstellung des Rezeptionsablaufs wird irrelevant, wenn systematisch den verschiedenen Komponenten, die eine Ausstellung versammelt, nachgegangen wird. In einer Art sezierenden, künstlichen Trennung versuche ich die einzelnen Fäden dieser Textur an Bedeutungsschichten zu erfassen, zu interpretieren und die Erkenntnisse wieder zusammenzuführen. Zu fragen ist, welcher Exponate und Mittel sich eine Ausstellung mit welchen Effekten bedient, was die Zeigeabsicht ist und welche Leseweisen nahegelegt werden, wer wie über was spricht und wen in welcher Weise adressiert. Welche Komponenten tragen dabei in welcher Weise zu welchen Narrativen und Bildern, gesellschaftlichen Selbstkonzeptionen und wissenschaftlichen Standorten bei? Wie beziehen sich die Elemente aufeinander – bestärken sie sich gegenseitig in ihren jeweiligen Deutungsangeboten und Wirkweisen oder lassen diese nebeneinander bestehen oder unterlaufen einander? Welche gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurse sowie Ausstellungsweisen und Wahrnehmungskonventionen kommen zum Tragen? Wie positioniert sich die Ausstellung in der Museums- und Ausstellungslandschaft, in den kulturellen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Ordnungen, welche Denkansätze und (Re-)Präsentationsformen finden Eingang?

Analysemethoden

Für ein analytisches Vorgehen sind Instrumentarien hilfreich. Methodische Verfahren können ein nachvollziehbares Vorgehen bieten und erlauben auf dieser Basis, Deutungsangebote argumentativ zu verhandeln. Ich erachte es für wichtig, die im Kopf mitgebrachten Kenntnisse und Projektionen nicht zu negieren, aber in Bahnen zu lenken, die helfen, sie zu reflektieren. Wenn ich systematisch beschreibe oder assoziiere usw. können sich Möglichkeiten eröffnen, zu den ersten Eindrücken und intuitiven Wertungen auch auf Distanz zu gehen, weitere Optionen der Interpretation zu denken. In diesem Sinn sehe ich den Einsatz von Methoden als produktive Hilfsmittel. Es wurden dafür mehrere Instrumentarien aus unterschiedlichen Disziplinen für das Medium Ausstellung herangezogen. Ich gehe im Folgenden nur auf jene ein, die ich mit Regina Wonisch versucht habe auszuloten: Methoden aus der Ethnologie, Literaturwissenschaft und Semiotik. (2)

Adaptiert haben wir das Verfahren der Dichten Beschreibung, das von Clifford Geertz für die ethnografische Feldforschung entwickelt und vielfach auf Kultur- und Geisteswissenschaften übertragen wurde. Sie steht für einen interpretativen Zugang zu sozialen und kulturellen Phänomenen. Voraussetzung ist die detaillierte rekonstruktive dünne Beschreibung aller Elemente einer Ausstellung und ihres Zusammenspiels.

Das heißt etwa das Erfassen von:
• Exponatarten, Objektumgang, Anordnungen zueinander und im Raum, Display-Ordnungen
• inhaltliche Kontexte, Fragestellungen/Themen/Aspekte der Ausstellung
• Präsentationsmittel wie Material, Farbe, Licht, Formgebung von Mobiliar/Einbauten, szenografische Elemente etc.
• Einsatz von Flachware: Bilder, schematische Darstellungen, Comics in illustrativer, erklärender, belegender, atmosphärischer Funktion
• Textarten: Zitate und Sekundärtexte, Textkonzept, Textintention
• AV-Medien: Hörstation, Klangbild, Projektion, Monitore mit Film/Infos
* Mitmachtools, Handson, Spiele, interaktive PC-Station
• Museumstyp, Gebäude, Ausstellungsort, Räume in ihrer architektonischen Ausgestaltung, Raumatmosphäre
• Parcour frei wählbar, vorgegeben, angeleitet
• Zusammenspiel von Objekten/Displays/Inszenierungsmittel/Texten: aufeinander abgestimmt, gegenseitig unterstützend/erklärend, gegenlaufend, in Konkurrenz, unklar etc
• Art/Duktus der Inszenierung: populär- oder fachwissenschaftlich, autoritär, dialogisch, sachlich, überhöhend, symbolisch aufgeladen, distanziert, berührend, identifizierend

Diese detaillierte rekonstruktive Beschreibung der vielfältigen Elemente und ihrer Verknüpfungen – also die unterschiedlichen Schichten einer Ausstellung zu erfassen und in möglichst vielfältig zu verbinden – bildet die Basis. Auf dem Beobachtbaren aufbauend gilt es, nun möglichst komplexe Zusammenhänge zu eröffnen, dahinterliegende Bedeutungsstrukturen und Lesarten herauszuarbeiten und in Bezug zu gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Diskurs- und Handlungsformen zu setzen. Erst aus diesen vielfachen Reinterpretationen wird einer rekonstruktiven-dünnen Beschreibung eine spezifische konstruktive Dichte gegeben. Eine Darstellung ist dicht, „wenn sie nicht nur das äußerlich Sichtbare protokolliert, sondern auch die kulturellen Kontexte und Interpretationsrahmen zum Ausdruck bringt, die der Handlung [in unserem Fall der Ausstellung, d.A.] ihren Sinn geben.“ (3) Dichte Beschreibung legt am Konkreten auch Allgemeines offen.
Die zwei zentralen Merkmale der Dichten Beschreibung sind bei Geertz das mikroskopische und deutende Verfahren. Für das Feld des Ausstellens heißt das, von der Präsentationsebene aus zu erkunden, wie sich ein Medium, eine Institution in der Museums- und Ausstellungslandschaft, in den kulturellen und gesellschaftlichen Ordnungen positioniert, welche Denkansätze und (Re¬-)Präsentationsformen Eingang finden. Dabei ist von Beginn an das Betrachten und Beschreiben der Displays mit Interpretation durchtränkt zu denken, kulturelle und subjektive Wahrnehmungsmuster kommen zum Tragen, die die Analysen wesentlich mitbestimmen. Auf dem Weg zur Dichten Beschreibung bedarf es also der Bewegung vom Konkreten zum Allgemeinen. Der mikroskopische Blick soll durch Anlagerung diverser Interpretationsschichten erweitert werden um zugrunde liegende Denk-, Wissens- und Handlungsrahmen in Bezug auf Themen/ Fragestellungen, Gestaltungskonzepte, Ausstellungskonventionen, Wirkungsweisen des gewählten Repertoires, Verortung der Autor*innenschaft/Institution, kulturellen und gesellschaftlichen Ansprüchen, Ein- und Ausschlüsse. Dichte Analysen sind Interpretationen von Interpretationen.

Werden Ausstellungen als Verschränkung von visuellen und sprachlichen Zeichensystemen in einem Raum gesehen, bietet sich die Semiotik an, da sie auf unterschiedliche kulturelle Zeichensysteme, auf Bilder ebenso wie Sprache und Schrift, anwendbar ist. Ein auf Roland Barthes basierendes semiotisches Instrumentarium wandte Jana Scholze (4) auf Ausstellungen an. Sie geht davon aus, dass kulturelle Manifestationen, d.h. auch alle Ausstellungselemente, Codierungen sind, die bei der Rezeption decodiert werden müssen. Die Codierungen erfolgen auf drei Ebenen: denotativ, konnotativ und metakommunikativ. In Wahrnehmungsprozessen greifen alle Codes ineinander und durchdringen einander. Die für den Analyseprozess notwendige Differenzierung bedarf daher der Verschränkung. Da sich die drei Codes nach Scholze immer an allen Ausstellungselementen, also der Objektebene, den Gestaltungsmitteln und Räumen, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung manifestieren, kann auf diese Weise das Medium Ausstellung als Ganzes in den Blick kommen.
Denotation begreift Scholze als Codierungen, die sich auf die Funktionen und damit den Gebrauch beziehen. Sie liefert ein Benennen und Beschreiben, ein Erkennen der vormusealen Funktion von Objekten und ihr Einordnen in kulturelle Raster.
Konnotationen entstehen durch das Eingebundensein in kulturelle Vorgänge, Norm- und Wertsysteme. Sie geben Aufschluss über gesellschaftliche Konventionen in der visuellen Kultur. Konnotationen werden von der Erscheinung von Objekten, von Objektzusammenhängen, von Gestaltungsmitteln, Kontextualisierungen etc. hervorgerufen. Im Zusammenspiel von Objekten, Kontexten, Gestaltung können sich die Konnotationen erweitern oder einschränken.
Als Metakommunikation versteht Scholze Codierungen in Bezug auf die institutionellen Kontexte des Ausstellens, die gesellschaftspolitischen, wissenschaftlichen, museologischen und ästhetischen Standpunkte, von denen aus gesprochen und die Art der Präsentation bestimmt wird. An den metakommunikativen Codierungen ist abzulesen, wie eine Ausstellung seinem Publikum gegenübersteht.

Werden kulturelle Äußerungen als Text verstanden, sind auch semantische Verfahren nahe liegend. Sabine Offe brachte hier einen Ansatz ein, der auf dem textanalytischen Verfahren von Roman Jakobson beruht. (5) Nach Jakobson werden Bedeutungen durch zwei ständig stattfindende, miteinander verschränkte Operationen produziert:
Die paradigmatische Operation gründet in der Substitution, der Ersetzung. Das heißt, aus einem Depot semantisch assoziierter oder assozierbarer Wörter wird eines gewählt. Auf Basis der gemeinsamen Merkmale ist das gewählte Wort potentiell durch andere ersetzbar. Die nichtrealisierten Bedeutungen können dabei immer mitschwingen, sie verschwinden nicht völlig. In Bezug auf das Ausstellen ist das Wort durch Exponate, Bilder, Präsentationsmittel ersetzt, zu denen ein semantisches Feld assoziiert werden kann.
Das syntagmatische Verfahren besteht in der Kombination. Dies meint, Wörter nicht beliebig sondern entsprechend den Regeln und der Dynamik der Grammatik zu Sätzen zu verbinden. So lassen sich viele, immer neue Sätze bilden, die vom Wort erzeugte Szenen entwerfen. Übertragen auf Ausstellungen heißt das: Ausgehend von einem gewählten Exponat oder auch Präsentationsmittel (Wort) werden mit den es umgebenden Exponaten und Präsentationsmitteln Narrative (Sätze) gebildet. Dabei gibt es weder Anfang noch Endpunkt, also keine lineare Struktur.
Beide Verfahren der Bedeutungsproduktion beruhen auf Auswahlverfahren, die durch Assoziationen bestimmt werden. So können Objektanordnungen danach befragt werden, wie fragmentierte Exponate durch Nachbarschaften/Kombination und Substitutionsmöglichkeiten verknüpft werden. Ihre Deutungen können Auskunft über individuelle und kollektive Vorstellungen geben.

Zur Kritik von Ausstellungen

Ich komme nun zur Kritik von Ausstellungen. Die Ausführungen sind als erratische Beobachtungen zu verstehen, als Versuch einer groben Skizzierung. (6) Als Kern einer Kritik gilt eine differenzierte Wertung im Sinne einer eingenommenen Haltung und aufgrund eines Beurteilungsmaßstabes. Dies sollte meines Erachtens auf Basis eines möglichst objektiven Beschreibens des Gegenstandes nachvollziehbar gemacht werden und so Meinungsbildungen befördern. Als Ziel einer Kritik sehe ich, nicht nur positiv und/oder negativ Gesehenes darzulegen, nicht allein urteilend zu agieren, sondern einen Debattenraum für die besprochene Ausstellung zu eröffnen. Mit einer Kritik kommt die Frage nach der Qualität von Ausstellungen ins Spiel und wer diese wie definiert. Wenn Besuchszahlen für politische Entscheidungsträger*innen und häufig auch von Museen selbst als einzige Grundlage gesehen werden, um einen Erfolg (oder Misserfolg) zu bemessen, ist es umso dringlicher, Qualitätskriterien zu diskutieren, die dem Medium Ausstellung adäquat sind und die Rolle von Ausstellungen als kulturelle Praxis und den Mehrwert für das Publikum bzw. die Öffentlichkeit einbeziehen. Wie ich eine Ausstellung werte, hängt vom Verständnis ab, was eine Ausstellung leisten kann und soll. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Museen/Ausstellungen über gleiche Ressourcen verfügen. Wenigen großen Häusern mit hohen Ausstellungsbudgets stehen eine Reihe mittlerer und eine Vielzahl kleiner Museen gegenüber. Qualität hängt zwar nicht von den verfügbaren Mitteln ab, die Rahmenbedingungen müssen aber bedacht werden.

Da es an einer fundierten Untersuchung zu Ausstellungskritiken mangelt, skizziere ich im Folgenden nur individuelle Eindrücke. Wenn ich einen Blick auf das Schreiben und Reden über Ausstellungen werfe, erscheinen mir verschiedene Modi zwischen Kulturberichterstattung und Ansätze fundierter Kritik. Vielfach steht im Vordergrund, das Publikum über die Ausstellung zu informieren, was über ein erzählendes Beschreiben des Sichtbaren, der Texte, Leitobjekte, Räumlichkeiten, Umfeld, der vorgegebenen räumlichen oder thematischen Strukturen etc. erfolgt. Eine Ausstellung wird eher erklärt als befragt, ist damit in der Regel keine Kritik. Manche Artikel legen den Schwerpunkt auf die Wirkung, die die Ausstellung auf die Kritiker*innen selbst oder das von ihnen beobachtete Publikum hat, wodurch die Subjektivität in der Wertung in den Vordergrund rückt. In vielen Kritiken, in denen in erster Linie das Urteil zentral ist, haben Beschreibungen oft eine untergeordnete Rolle, wodurch die Nachvollziehbarkeit eingeschränkt wird und der Effekt einer solchen Kritik behauptend und abschließend ist, keinen offenen Denkraum bietet. Zum Teil wird ein Aspekt fokussiert, von einem spezifischen Interesse bzw. einer Fragestellung angeleitet bestimmte Komponenten einer Ausstellung in ihrer Wirkungsweise beschrieben, auch dekonstruiert und in fachspezifischen Diskurs eingeordnet. Die Kritik wird zur Architekturkritik, Kunstkritik oder zur wissenschaftlichen Disziplinenkritik, die prüft, ob die Ausstellung den fachlichen Ansprüchen gerecht wird.
Für alle Formen des Schreibens und Sprechens über Ausstellungen gilt es zu fragen, wie transparent oder geschlossen sie gehalten sind, wie nachvollziehbar oder autoritativ behauptend. Geben sie Raum zum Denken oder bevormunden sie, drücken sie ein subjektives Empfinden von „gut-schlecht” aus oder argumentieren sie differenziert, machen sie ihre Positionen erkennbar oder verleihen Subjektivem eine scheinbare Objektivität? Eine Kritik, wie ich sie mir vorstelle, kennt keine Daumen rauf oder runter, feiert keine eigenen Geschmacksvorlieben, brilliert nicht mit Kenntnissen zur Ausstellungsthematik oder einzelnen Exponaten, sondern stellt sich denselben Fragen wie Ausstellungsmacher*innen das tun sollten: Wer, Wo, Was, Wie, an Wen, Wozu. Wer schreibt und redet/diskutiert mit welchem Selbstverständnis, an welchen Orten/in welchen Publikationsmöglichkeiten, zu welchen Museen/Ausstellungen, zu welchen Aspekten einer Ausstellung, in welcher Weise, zu welchem Publikum, zu welchem Zweck?
Ich umreiße ohne Anspruch auf Vollständigkeit drei Debatten-Orte, die unterschiedliche Rahmenbedingungen haben, um über Ausstellungen zu sprechen. Ein vierter Debattenort sind die von allen Interessierten zu nutzenden virtuellen Räume von Internet und Social Media, etwa von Podcast und Blog, zu denen ich aber zu wenig beisteuern kann.
Anknüpfend an die nun beschriebenen Skizzen wäre weiter zu diskutieren: Was sollten jeweils die Anliegen und Wege der verschiedenen Debattenorte sein? Welche Begrenzungen oder Hindernisse bestehen und welche Lösungsstrategien sind denkbar?

Journalistische Ausstellungskritik: Print, Web, Radio/TV

Wie bei allen kulturellen Angeboten ist zu fragen, welche Museen und Ausstellungen in welchen Medien überhaupt eine Aufmerksamkeit erreichen können. In überregionalen österreichischen Tages- und Wochenzeitungen sowie Radio/TV finden Ausstellungsbesprechungen nur zu wenigen größeren Häusern Eingang. Um in der Kulturberichtserstattung oder sogar im Feuilleton ausländischer Presse aufzuscheinen, wird es nochmals deutlich exklusiver. Die vielen mittleren, geschweige denn kleinen Museen werden allein von der regionalen und lokalen Presse wahrgenommen, in der Aufmerksamkeitsökonomie überregionaler Zeitungen sind sie nicht präsent, egal welche Qualität sie zu bieten haben. Wenn über journalistische Ausstellungskritik nachgedacht wird, müssen also die entsprechenden Rahmenbedingungen differenziert werden.
Das Schreiben und Sprechen über Ausstellungen konzentriert sich häufig auf die Intentionen, die Ausstellungsmacher*innen äußern, auf die gezeigten Objekte und Kunstwerke, die Künstler*innen, die Personen oder Thematiken, mit denen sich die Ausstellung beschäftigt. Auch im Feuilleton wird nur in seltenen Ausnahmen auf den kuratorischen Umgang mit diesen Inhalten und die visuelle Umsetzung eingegangen. Ausstellungskritiken sollten gerade in Zeiten, in denen die immer größer gewordene Öffentlichkeitsarbeit von Museen sich als Servicestelle für die Medien anbieten, ein Gegengewicht bieten. Leider ähneln Berichte über Ausstellungen zwar nicht unbedingt im Wortlaut, aber in ihren Aussagen häufig den Pressetexten bzw. den Informationen seitens der Museen und Ausstellungsmacher*innen in Presseführungen, sind reine Berichterstattung und fungieren als Ankündigung, Bewerbung und Selbstdarstellung. Woran mangelt es, wenn zunehmend den Eigendarstellungen gefolgt wird, ohne selbst eine Ausstellung zu erfassen und Deutungen vorzunehmen?
Wenn Medien sich einer öffentlichen Debatte verpflichtet sehen, die dem Spezifischen von Ausstellungen ebenfalls gerecht wird, bedarf es fundierter Kenntnissen. So wie eine Filmkritik über Kameraführung oder Schnitt etc. Bescheid wissen sollte, bedarf es für eine Ausstellungskritik ein Wissen um Objektanmutung, visuelle Deutungsangebote durch Anordnungen und Gestaltungsmittel in einem Raum, Wahrnehmungskonventionen, schriftliche und sprachliche Erklärungskonzepte, die sich alle zu einer Gesamtheit verschränken und von gesellschaftlichen Verfasstheiten zeugen. Doch wie erlangen Journalist*innen die Expertise, welche Erzählungen und Bilder mit welchen Präsentationsmitteln in welchem Gestus transportiert werden? Herausgefordert sehe ich Museen und Ausstellungsmacher*innen sowie die museologische Disziplin, um Kriterien zur Qualität von Ausstellungen zu entwickeln und kommunizieren. Aber hinterfragbar, wenn auch diskutierwürdig halte ich, ob es Aufgabe von Museen sein sollte oder könnte, Journalist*innen in Lesefähigkeit von Ausstellungen auszubilden. Hier möchte ich eher auf die museologische Disziplin und ihre Bildungsangebote verweisen. Spezifische Kenntnisse etwa für eine Musik- oder Filmkritik zu erlangen, werden meines Erachtens kaum von den ausführenden Musiker*innen und Filmemacher*innen abverlangt, sondern über anverwandte Disziplinen erworben.
Abgesehen von Kompetenzen bedarf es aber auch Zeit, um sich eine Ausstellung differenziert anzueignen, Zeit, die vielen angesichts der prekären Rahmenbedingungen journalistischer Arbeit oft fehlt. Hinderlich für eine nachvollziehbar dargelegte detailliertere Analyse kann ebenso die geforderte Kürze von Artikeln sein, denn dafür ist ein gewisses Ausmaß an Beschreibung von Nöten. Bleibt die Frage, welche Potentiale von kritischen Rezeptionen im journalistischen Feld möglich sein können.

Kritik von Ausstellungen seitens der Fachwissenschaften

Für die wissenschaftlichen Disziplinen, deren Forschungsgegenstand und Erkenntnisse in Ausstellungen eingehen, besteht die Herausforderung, dass anders als bei Texten die ausgestellten Exponate und die visuelle Präsentation eine größere Offenheit in ihren Aussagen haben, Interpretationsspielräume gewähren. Dies mag jene, die ein Bewusstsein für die Medialität von Ausstellungen haben, hindern, bei entsprechend mangelnden Kenntnissen über Ausstellungen zu schreiben. Immer wieder ist ein Ausweichen auf Ausstellungskataloge zu bemerken, denn Texte sind festschreibender als Visuelles. Eine Lösung könnte darin bestehen, interdisziplinär vorzugehen, etwa eine historische Ausstellung gemeinsam aus historischer und museologischer Expertise zu rezipieren bzw. analysieren und Kritiken zu formulieren.
Aber vielen Wissenschaftler*innen sind grundsätzliche Differenzen von Wissenschaftstexten und Objekt- und Ausstellungssprachen kaum geläufig. Das zeigt sich unter anderem daran, dass ihnen vielfach ihre Fachexpertise genügt, um sich nicht allein inhaltlich in Ausstellungsthemen einzubringen, sondern auch kuratorisch zu agieren. Hier sollte die Museums- und Ausstellungslandschaft in der Pflicht sein, um Expertise im Ausstellen zu sichern, doch scheint es hier ebenfalls teilweise entweder am Bewusstsein oder am Willen zu fehlen, einen Diskurs über Medialität und Qualität von Ausstellungen zu führen.
Zu reflektieren ist zudem, welche Reputation die Beschäftigung mit Ausstellungen für Wissenschaftler*innen hat. Bringt es eher Reputation, für prestigeträchtige Ausstellungen gefragt zu sein und mitzuarbeiten, aber zu wenig fachliche Reputation, um sich rezipierend mit Ausstellungen auseinanderzusetzen? Mangelt es am Interesse, über Ausstellungskritiken öffentlichkeitswirksam zu Diskursen beizutragen? Dies führt zur Frage, welcher Stellenwert die akademischen Wissenschaften den Ausstellungen beimessen. Werden sie als Beitrag zu einer öffentlichen Debatte, etwa um die Gesellschaftsrelevanz von wissenschaftlichen Fragen und Erkenntnissen gesehen, oder als ein nachgelagertes Instrument, um Wissen top to down publik zu machen und sie dabei „herunterzubrechen“ wie häufig gesagt wird. Im akademischen Bereich wurde begonnen, gesellschaftliche Verantwortung von Forschung unter dem Begriff „Third Mission“ zu diskutieren, (7) Das inkludiert neben Technologie- und Wissenstransfer auch soziales Engagement, Beiträge zur Demokratisierung etc. – idealerweise ein gegenseitiges Einwirken von Hochschulen und Gesellschaft. Daran anknüpfend könnte eventuell eine Auseinandersetzung um Ausstellungen ins Spiel gebracht werden, Qualitätskriterien für dieses Zusammenwirken von Wissenschaft und Ausstellung zu entwickeln und eine Kritikkultur zu etablieren.

Analyse und Kritik von Ausstellungen im musealen Tätigkeitsfeld

Die Frage, wie im Visuellen Bedeutungen geschaffen werden und kontrovers zu verhandeln sind, erfordert eine Art visuelle „Lesefähigkeit“. Ich befürchte, dass es darum schlecht bestellt ist, obgleich wir in einer hoch visuellen Kultur leben. Damit meine ich nicht, dass Menschen nicht fähig wären Visuelles affektiv oder kognitiv zu erfassen, sondern darüber auch kritisch-analytisch reflektieren und sprechen zu können. Selbst in der Museums- und Ausstellungslandschaft ist diese visuelle Lesefähigkeit nicht selbstverständlich. Dem Betrachten zur Verfügung gestellte Szenarien grundlegend analysieren zu können, sehe ich für alle, die in diesem Bereich tätig sind, für unumgänglich, um den Beruf auszuüben und das eigene Metier kritisch zu reflektieren. Hier sind Ausbildungsformate gefordert.
In diesem Bereich kann ich Erfahrungen aus den Lehrgängen „Curatorial Studies“ an der zhdk Zürich und „Museum und Ausstellung“ an der Universität Oldenburg beisteuern. Kritik sollte auf Basis methodischer Ausstellungsanalysen formuliert werden. Bei der Anwendung der zuvor erwähnten Analysemethoden zeigte sich nicht nur, dass es einigermaßen Übung bedarf, um mit methodischen Instrumentarien zu arbeiten, sondern auch, dass reflexive visuelle Kompetenzen häufig wenig ausgebildet sind. Wie fruchtbar Methoden sein konnten, hing weniger davon ab, welche Methode für welche Art der Ausstellung gewählt wurde, sondern wie Analysierende aus ihrem Fundus an Kenntnissen an eine Methode andocken konnten. Sobald sie in die Anwendung hineinfanden, war es möglich, Komponenten detailreicher zu erfassen, Deutungen fingen an, komplexer zu werden. Was gut erreicht werden konnte, war eine Sensibilisierung für visuelle Sprachen, für die bedeutungskonstruierenden Rollen der einzelnen Bausteine für sich und im Zusammenspiel. Zentral war, dass durch die methodische Herangehensweise persönliche Geschmacksvorlieben in den Hintergrund geraten konnten, eine gewisse gemeinsame Basis geschaffen werden konnte, um nachvollziehbar über das Präsentierte zu reden. Mit der Entwicklung eines Bewusstsein, dass Visuelles nicht einer einzigen Lesart unterliegt, verschiedene Deutungen potentiell möglich sind, entstand ein Debattenraum darüber, welchen Deutungen eher gefolgt werden könne und warum. Eine wichtige Vorgabe war dabei, im Analysevorgehen möglichst nicht zu urteilen. Die mit einer Wertung einhergehende Kritik sollte an die Analyse anschließen, aber argumentativ unter Offenlegen der eigenen Ansichten, wie Ausstellungen sein sollen, was sie bewirken sollen. Natürlich sind subjektive Eindrücke und der eigene Standpunkt in der Analyse nicht wegzudenken, die Herausforderung ist, diese zu deklarieren und damit selbstreflexiv bei Deutungsvermutungen zu berücksichtigen und offen für weitere Optionen zu sein. Damit kann auch die Kritik ein Fundament zur Verhandlung erhalten, statt Urteile zu zementieren und Geschmacksvorlieben zu verkünden.

Kurzes Fazit

Wenn eine Rezeption bzw. Analyse und Kritik – egal von welchen Debattenort aus – der immer wieder deklarierten stärkeren Deutungsoffenheit von Visuellem gerecht werden will, muss sie sich hüten, selbst nicht einengend und kanalisierend zu interpretieren und zu werten. Nichts gegen argumentativ nachvollziehbare Urteile, wenn sie nicht abschließend wirken. Denn noch wichtiger finde ich, Anstöße für Debatten zu liefern.

Roswitha Muttenthaler hat ihre theoretischen Überlegungen zur Ausstellungsanalyse an einem konkreten Beispiel erprobt: Semantische Ausstellungsanalyse des Themenbereichs „Migration“ im Schweizer Landesmuseum Zürich 2016
https://museumdenken.webflow.io/post/aussetllungsanalyse-des-themenbereichs-migration-im-schweizer-landesmuseum-zurich-2016-vor

(1) Die angebotenen Gesten des Zeigens sieht Mieke Bal als diskursive Akte als spezifische „Sprechakte“. Vgl. Mieke Bal, Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis. New York, London 1996, S. 3ff. Nach Tony Bennett tritt das Museum als Diskursinstanz auf: das Ausgestellte wird als kultureller Text gelesen und mit gesellschaftspolitischen Implikationen verknüpft. Tony Bennett, The Exhibitionary Complex, in: Reesa Greenberg/Bruce Ferguson/Sandy Nairne (Hg.), Thinking about Exhibitions, London-New York 1996, S. 81ff.
(2) Vgl. Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld 2006.
(3) Ziegler, Meinrad: „Dichte Beschreibung“ – Essayistisches Theoretisieren und persönlicher Standort in der Interpretation, in: Waltraud Kannonier-Finster/Meinrad Ziegler (Hg.), Exemplarische Erkenntnis. Zehn Beiträge zur interpretativen Erforschung sozialer Wirklichkeit, Innsbruck 1998. S.66.
(4) Jana Scholze, Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung in Oxford, Leipzig, Amsterdam und Berlin. Bielefeld 2004.
(5) Vgl. Offe, Sabine: Was reden die Dinge, was hören die Besucher? Ansätze zur rhetorischen Analyse von Ausstellungen. Unveröffentl. Vortragsmanuskript, Bremen 2002; dargelegt in Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch: Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen. Bielefeld 2006, S. 58-61.
(6) Friedrich Waidacher stellte bereits vor Jahrzehnten in seinem Handbuch Überlegungen zur Ausstellungskritik an und listete eine Vielzahl an Detailfragen für das Erfassen von Ausstellungen auf, eingeteilt in die Kategorien „Vor der Ausstellung”, „beim Ausstellungseingang”, „Übersichtlichkeit”, „Die Ausstellungsräumlichkeiten”, „Angemessenheit der Kommunikationsmedien” und „Gesamtwirkung der Kommunikation zwischen Planern und Publikum“. Friedrich Waidacher, Ausstellungen besprechen, in: Museologie online 2000, S.31-33, https://www.z-a-dire.ch/_pdf/waidacher.pdf
(7) Zur Diskussion um Third Mission vgl. die Veranstaltung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft: https://www.oefg.at/events/workshop-die-dritte-mission-von-universitaeten-transfer-und-wissensaustausch-mit-der-gesellschaft/

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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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