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Elsbeth Wallnöfer über eine Krise

ohne Selbstzweifel. Ein Respons auf Krszysztof Pomian

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ohne Selbstzweifel. Ein Respons auf Krszysztof Pomian

Wenn die Aussicht auf das Museum der Zukunft Resultat einer wahrhaftigen Krise, also ein Krisenkoller, zu sein scheint, dann bleibt einem prima vista nur zu äußern: Die Schwarzseherei Pomians ist begründet, die Zukunft dennoch gesichert, die Krise des Museums allerdings setzte nicht erst mit der Covid-Krise ein. Die pandemische Malaise hat nur zu Tage befördert, was anscheinend kaum auffiel, was jedoch als systemimmanente Krise benannt werden sollte.

Der Gründungsgedanke der Museen, einst Marke (Identität) eines Hauses verblich mit dem Einzug wirtschaftsliberalen Denkens. Es begann der Trend, Marketingmenschen und Betriebswirten die Regie zu Planungen, Themen, Titel von Ausstellungen zu überlassen, Kuratorinnen in die zweite Reihe zu verweisen, Museen zum Handlanger einer gigantomanischen Tourismusindustrie für gefällige Ausstellungen verkommen zu lassen. Anders formuliert: das Museum als ehemaliger Repräsentationsgestus des Staates, als symbolischer Zeuge der Kulturalisierung der Nation, als Ort der Verdichtung eurozentristischer Sammelleidenschaft geriet dabei in die Mühlen einer Industrie, die sich mit klandestinen, schnell konsumierbaren Oberflächen beschäftigt; Mit der Produktion von Glanz, mit schönem Schein, mit illusiven Schimmer, der sich auf Begriffe stützt die geschmeidig klingen, kaum Sinn ergeben und bisweilen ratlos zurücklassen.

Müßig zu erwähnen, dass diese Entwicklung komplementär zur Einführung kaufmännischer Geschäftsführer stattgefunden hat und die Kosten solcher Betriebswirte bisweilen höher ausfallen, als so manche Ausstellung kosten darf. Die generelle Konsequenz, Museen in Betriebsgesellschaften umzuwandeln, hat abgesehen von inhaltlichen Veränderungen, auch noch soziale Folgen: Es entstand ein (bereitwilliges) modernes Lohnsklaventum aus Kuratorinnen, Vermittlerinnen, sonstigem Museumspersonals. Die politischen Bemühungen, bisher selbstständige Häuser in Firmen (GmbHs) umzuwandeln wiederum täuschte erstens einen Geschäftssinn vor und zweitens raubte er kleinen Häusern die Chance sich durch kreative Konzepte von den großen abzuheben Nicht selten fanden über die Geschäftsführer der Kultur- oder Museums-GmbHs Parteikader Eingang in die Vorstände. Die Krise der Museen ist also eine systemimmanente Krise des politischen Institutionalismus, deren Probleme nicht auf die Digitalisierung verschoben oder der Pandemie zugewiesen werden können.

Pomians Pessimismus ist verständlich wie Anlass, Überlegungen anzustellen, erneut nach der Identität und Zukunft von Museen zu fragen. Ein Museum muss nicht, nur weil es sich mit Zukunft zu beschäftigen hat, seine alten, bewährten analogen Praktiken aufgeben. Zukunft und Vergangenheit, bewährte analoge Methoden und neue Techniken sind per se kein Widerspruch. Da es die inhaltliche Kontingenz ist, die Identität, die Marke also, schafft, macht es Sinn an Thema und den Objekten des Hauses zu arbeiten. Der Hang österreichischer Museen alle trendigen Themen bedienen zu wollen, lässt sie für den Besucher zu launigen Orten verkommen. Die Zukunft der Museen liegt nicht nur in der Herausforderung durch die Digitalisierung. Die Zukunft der Museen muss wieder die Unterscheidbarkeit werden, die Berufung auf deren Stiftungsgedanken, der zur thematischen Ausrichtung und Gründung des Hauses führte, der bestimmte, was gesammelt wurde

Aufgabe der Museen ist es nicht, zu Orten divinatorischer Prophetie zu werden, die Zukunft zu erschauen. Wenn die Zukunft von Museen darin besteht, das Gründungsnarrativ zu verlassen, um den Betriebswirten und Marketingwirtinnen Folge zu leisten, darüber hinaus gegenwärtige Befindlichkeiten auf die Vergangenheit überzustülpen, mehr noch, die Vergangenheit durch die Gegenwart aufzuheben und sie gegen einen moralischen Impetus auszutauschen, dann passiert, was erkenntnistheoretisch ein Desaster ist: Erkenntnis findet nicht mehr statt, sie erschaut wahrhaftige Zusammenhänge zur Gegenwart hin nicht mehr. Es kommt dann zu Nicht-Ausstellungen, indem sich Kuratoren über die Autorenschaft von Künstlern und deren lebensweltlichen Kontext hinwegsetzen oder deren Urheberrecht ignorieren, wie im Falle von Philip Gustons (1913-1980) jüngst in den USA geschehen.

Auch Tendenzen „Menschen mit Migrationshintergrund“ Ausstellung mitgestalten zu lassen, um deren Blick für uns sichtbar werden zu lassen erinnert an die Praxis katholischer Barmherzigkeit von Gottes Gnaden bei der Prozession mitgehen zu dürfen. Es ist durchaus möglich, über Migration eine Ausstellung zu machen, ohne dass man selbst vertrieben wurde.

Gnade und ein Überhang an Betroffenheit führen nicht zu Erkenntnis, eher zu einer „edleren“ Form von Paternalismus und das wäre falsch verstandene Partizipation.

Ein Museum ist ein Ort der Repräsentation, ein Tummelplatz von Objekten ehemaligen und zeitgemäßen anthropologischen Begehrens, selbst wenn die Objekte aus Raubzügen oder Fälschungen stammen. Deshalb macht es Sinn, wie im MEG in Genf, dem Musée d’ethnographie de Genève, geschehen, den Austausch mit Angehörigen der Objekte zu suchen, um deren Wissen und Stellungnahme zu den „Dingen“ abzufragen und im Zuge dessen auf Wunsch die Objekte zurückzugeben oder sie als Leihgabe zu verwalten. Nur so überwindet man paternalistische Gesten, stellt man Gleichheit her. Wer wie Boris Wastiau, der das Haus leitet, dann noch auf diesem Wege den Begriff Ethnografie in Zweifel zieht, sucht geradezu nach Auswegen. Indem er Altes und Neues übereinanderlegt, sich selbst in Frage stellt und letztlich – wie in diesem Falle – zum Schluss kommt, dass die Idee von geschlossenen Ethnien eine von der (soziologischen) Gegenwart eingeholte Kategorie ist, ermöglicht daher durch Umdeutung oder Neudeutung des Bestandes, eröffnet neue Narrative.

Museen müssen also zu ihren Ursprungsaufgabe zurückfinden und deren epistemischen Sinn befragen, sie müssen Orte politischer, aufklärerischer Agora werden, in denen Kuratorinnen Stellung beziehen, Direktoren sollten wieder auf Konturierungen bedacht sein. Es gilt Gegenwart darzustellen, indem man nicht so sehr darum bemüht ist friktionsfrei gefällig zu sein; Selbst um den Preis, sich von ehemaligen Erzählungen/Narrativen und Begriffen verabschieden zu müssen.

Museen sollten nicht als moralisches Korrektiv fungieren, Begriffe canceln, Objekte in den Giftschrank stellen, denn Aufklärung bedeutet nicht, moralisch zu missionieren, da der abendländische Humanismus keine Religion ist, oder doch? Tatsächlich gilt es sich einzugestehen, dass wir uns grosso modo oder en detail geirrt haben, obwohl wir in guter Absicht gehandelt haben. Wir haben uns eine eigene Erzählung zurechtgelegt, Mythen gesponnen und uns an diesem Raubgut als Kulturmenschen aufgerichtet. Wir haben aber auch, und das gilt vor allem für die ethnografischen oder ethnologischen Museen, Dinge aufbewahrt, die sonst verloren gegangen wären. Aber wäre das denn schlimm, wenn sie verloren wären, ließe sich an dieser Stelle einwerfen. Anhand dieser Museen lässt sich exemplifizieren, dass man vor Ort nur zur gern das Zeug weggeworfen hätte, um der Modernisierung die Tür zu öffnen, weil man dessen überdrüssig war. Es gilt also grundsätzlich die Frage nach dem personalen Eigentum, dem Sinn und Begehren der Besitzer wie der sammelnden Museumsmenschen nachzugehen – so wie es im Bereich der Kunst geschieht – und es ist notwendig generell zu fragen, ob in kollektiven (nationalen) Kategorien zu denken nicht der falsche Weg ist. Gleichermaßen ist es angezeigt, unsere eigenen romantisch-idealisierenden Motive zu hinterfragen und die eigene Verlustangst Objekte zu verlieren aufzugeben. Die Scham darüber Türkenköpfe, Nickneger, Figurinen der Lobi, Masken aus dem Benin zu besitzen, lassen sich nicht durch moralisch motivierte Ersatzhandlungen ungeschehen machen und mit einem neuen Kulturdiktat kaschieren. Artefakte den Eigentümern, die ja nicht immer in der Gestalt europäischer Nationalstaaten auftreten, zurückzuerstatten bedeutet – so man das vis à vis als gleichwertigen Partner akzeptiert, dass diese damit machen können, was sie wollen und für richtig halten. Wenn wir uns winden und meinen es bräuchte doch auf der Rückgabeseite ein Museum, eine staatliche Institution, dann haben wir uns gar nicht geändert. Das ist die Fortsetzung kolonialen Verhaltens mit neuen Mitteln. Anders formuliert: Dann gelangt das Zeug eben auf den freien Markt der freien Kräfte. Wir können es ja zurückkaufen! Wir müssen aufhören unser Konzept von Kultur als normative Kraft über die Welt zu streuen.

Die Chance eines Neuanfangs ergibt sich, sich durch Selbstreflexion, Selbstzweifel weiterzubringen. Wir müssen aufhören unser Kulturkonzept als epistemisch abgerundet und moralisch richtig wie vollkommen zu denken. Wer sich im Recht sieht, wenn er Arbeiten von Philip Guston (1913-1980) nicht zeigen will, weil Ku-Klux-Klan-Gestalten darin vorkommen, der ist verblendet, ignorant oder dumm, oder alles zusammengenommen.

Unser derzeit bevorzugter gönnerhafte Gestus übersieht, dass unsere (irrige) Identitätspolitik zur Identitätspolitik der anderen gemacht wird.

Zu diesem Zweifel gehört auch die „durch Tradition geheiligte Vergangenheit“ (. H. Arendt) endlich zu entweihen, weil sie nichts mehr ist als eine selbstersonnene Mär, geboren aus einem Ideal, genutzt zur Selbststilisierung und Distinktion.

Erst wenn wir Direktoren wie Okwui Enwezor (1963-2019) allein aufgrund ihrer Fachkenntnisse zu Direktoren „unserer“ Museen machen, legen wir die Gnade und den moralischen Habitus ab. Je eher wir die eigene Attitüde unseres überhöhten Kulturdiktates in Frage stellen, umso größer wird die Chance unsere Museen neu zu entdecken.

Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Ihre Kommentare erscheinen u.a. in den Tageszeitungen STANDARD, KURIER und FALTER. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter „Märzveigerl & Suppenbrunzer. 555 Begriffe aus dem echten Österreich“ (Verlag Anton Pustet 2014) sowie „Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten“ (Sankt-Ulrich-Verlag 2011). Bei Haymon erschien ihr Buch „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“, in dem sie den Begriff „Heimat“ durchleuchtet und neu denkt. 2020 folgte das Werk „Tracht macht Politik“. (Hamon Verlag)

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