aktuell
veranstaltungen
beiträge
debatten
museum a-z
über uns
museum a-z

Rubens-Syndrom

No items found.
Rubens-Syndrom

I

Eine Umfrage des römischen Istituto di Psicoanalitica stellte bei 20% von Museumsbesuchern das sogenannte „Rubens-Syndrom“ fest: sie erleben das Museum als Ort für „erotische Abenteuer“, öfter noch als eine Disco oder einen Konzertsaal, laut Statistik nur noch übertroffen vom Meeresstrand und dem Eisenbahncoupé.

II

"Sie war die Freundin eines Freundes, und sie und ich hatten mit dem gemeinsamen Freund zu Mittag gegessen, ihn verabschiedet und gingen nun, da wir beide den Nachmittag in New York zur freien Verfügung hatten, miteinander in ein Museum.

Es war neu, erst kürzlich nach den Plänen eines gerade verstorbenen amerikanischen Hexenmeisters vollendet. Es hatte die Form eines gestutzten Kreisels, und sein Fußboden war eine Spirale um einen hochmütigen Kern aus senkrechtem leerem Raum. Von den geneigten glänzenden Wänden sprangen ungeheure Rechtecke aus zerrissener, mit Farbe bespritzter Leinwand an dünnen Armen aus gebogenem Rohr in den Raum.
Als bedrohliche Vergrößerungen von Unfällen der Textur mußten sie eigentlich aus größerer Entfernung betrachtet werden, als die Architektur zuließ.

Die Breite der Galerie war durch ein ziemlich schmales und niedriges Betonmäuerchen begrenzt, das einen Sturz in die Kathedraltiefe darunter eher herausforderte als entmutigte. Zu ehrfürchtig, um zu spotten, und zu schwindelig, um zu urteilen, folgten meine Begleiterin und ich gehorsam dem Weg abwärts, über die spiralige Rampe ohne Ausgang, im Bann des Hexenmeisters.

Als sie benommen von einem besonders explosiven Gemälde zurücktrat, fielen ihre hohen Absätze auf die Neigung des Bodens herein, und sie stolperte gegen mich und griff nach meinem Arm. Farbsuppen spritzten auf einer Seite; die Sirenenkluft rief auf der anderen. Die Frau fand sicheren Stand, ließ meinen Arm jedoch nicht los. Ich blickte geradeaus, inhalierte den Duft von Parfum und fühlte mich wie ein Bergsteiger, dessen Begleiterin am steilsten Abschnitt in Panik geraten ist. Ich überließ meinen Arm ihrem Griff, und so gesichert stiegen wir behutsam das restliche Stück Museum hinab.

Erst als unsere Füße die Sicherheit des Straßenniveaus erreicht hatten, waren wir wieder frei. Unsere Körper trennten sich und berührten sich nicht wieder. Doch der Bann war nur unzulänglich gebrochen, wie die Tür zu einer Grabkammer, die, einmal entsiegelt, nie wieder richtig geschlossen werden kann."

John Updike

Stichworte des Artikels:

Danke für deinen konstruktiven Kommentar

Danke für deinen konstruktiven Kommentar

Passend zum Thema

© museumdenken