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Angela Janelli über die Frage

Was ist ein Museum?

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Was ist ein Museum?

Was ist ein Museum? - „Eine metaphorische Complication“

Den Titel meines Essays habe ich mir von Melanie Blank und Julia Debelts geborgt. Die beiden Ausstellungsgestalterinnen haben ihre bereits 2002 erschiene Publikation so benannt, in der sie verschiedene Definitionen von „Museum“ in deutschsprachigen Lexika des 18. bis 20. Jahrhunderts ausgewertet haben. Im Vorwort zu dem aufschlussreichen Büchlein schreiben Gottfried Fliedl und Herbert Posch:

„Museum – das ist ein Begriff der in seiner Alltäglichkeit auch selbstverständlich ist. Was ein Museum ist, weiß ich nicht, verkündet dagegen der Museologe Tomislav Sola und zollt so der Paradoxie Tribut, daß das Museum einerseits ein erfolgreich expandierendes Unternehmen ist und andererseits dessen Status und Funktion immer fragwürdiger wird.“ (Blank/Debelts, S. 7)

Mir scheint, dass wir auch heute, rund 20 Jahre später, immer noch nicht viel weiter sind als damals. Immer noch wird darum gerungen, was eigentlich ein Museum ist, wer sich Museum nennen darf und was ein Museum ausmacht. Das fängt auf lokaler Ebene an und hört auf globaler Ebene auf – wie sich derzeit bestens an der sich immer mehr zuspitzenden Kontroverse rund um eine neue Museumsdefinition des ICOM zeigt. Die Debatte lässt sich dabei stark verkürzt auf die Frage reduzieren, für wen ein Museum eigentlich da ist, für Objekte oder für Menschen?

Die Museumswelt beschreiben

Die Debatte dreht sich um diese beiden Pole und es scheint, als ob die Museumsmenschen sich nicht einigen können, nach welchem Pol sie ihren Kompass ausrichten sollen. Aber warum sollte man sich für nur eine Richtung entscheiden müssen? Schließlich hat auch die Erde zwei Pole, und zwischen ihnen entspannt sich eine ganz Welt: Eine Welt mit vielen verschiedenen Landschaften, mit Bergen und Seen, mit Wüsten und Meeren, mit unterschiedlichen Klimazonen und Lebensräumen für die vielfältigsten Pflanzen, Menschen und Tiere. Warum ist die Museumswelt nicht ebenso vielfältig zu denken und zu beschreiben? Warum wird gerade bei der Betrachtung von Museen Eindeutigkeit angestrebt anstatt ihre Vielfalt zu feiern?

Man mag hier einwenden, dass es doch eine lang gepflegte Unterscheidung von Museumstypen gibt: Wir unterscheiden zwischen historischen Museen, zwischen Naturkunde- und Technikmuseen, zwischen Kunst- und Heimatmuseen. Oder man kategorisiert Museen nach ihrer Strahlkraft in Heimat-, Regional- oder Nationalmuseen. Auch die Trägerschaft ist ein eingeführtes Unterscheidungsmerkmal, sprechen wir doch von Kommunal-, Landes- und Bundesmuseum oder von Unternehmensmuseen und Privatsammlungen. Das ist alles richtig. Damit ist aber noch nichts über den Charakter eines Museums gesagt, noch nichts über die Art und Weise, wie es den Besuchenden gegenübertritt und wie es seine Inhalte vermittelt.

Werfen wir einen Seitenblick in die Literatur- oder Filmwissenschaft: Bei der Analyse und Beschreibung von Literatur oder Film sind die Gattung beziehungsweise das Genre wesentliche Unterscheidungsmerkmale. In der Museumskunde werden Museen nach ihrem wissenschaftlichen Sachgebiet oder ihrer Trägerschaft unterschieden, nicht aber nach ihrem Genre im Sinne von Erzählhaltung oder Stoffgestaltung. Dabei findet man in Museen verschiedener Sachgebiete und Trägerschaften feine und erlesene Museen, deren Besuch ein ästhetischer Hochgenuss ist; lehrreiche Museen, deren Besuch einen Zuwachs an Wissen beschert; es gibt unterhaltsame Museen, deren Besuch einen kurzweiligen und vergnüglichen Nachmittag beschert; kuriose Museen, die in Staunen versetzen; es gibt strenge, witzige, kluge, geschwätzige, spannende, romantische, enzyklopädische, langweilige, aufwühlende, konturlose und aktivistische Museen und so weiter und so fort... Für alle diese Museumsformen haben wir aber noch keine Begriffe, die die Form des Erzählens, die Erzählhaltung oder -perspektive der jeweiligen Ausstellungen beschreiben. In der Welt der Bücher wird zwischen Sachbüchern, Gedichtbänden und Romanen unterschieden, zwischen Krimis und Liebesgeschichten, zwischen Handbüchern und Nachschlagewerken, historischen Epen und Dramen. Beim Film gibt es Thriller, Biopics, Dokumentar- und Kurzfilme, Werbespots, Videoclips, ... Alle diese Erscheinungsformen segeln unter den großen Flaggen „Buch“ beziehungsweise „Film“, die wiederum durch Gattungen und Genres weiter unterschieden werden.

Vielfalt anerkennen statt nach Eindeutigkeit streben

Warum haben wir in der Museumswelt keine Begriffe für diese Vielfalt an Ausdrucksformen? Warum gibt es hier keine Unterscheidung nach Genres oder Gattungen? Warum hält sich ausgerechnet bei Museen – die immer wieder als „Spiegel der Welt“ beschrieben werden – so hartnäckig die Vorstellung von einem Modell, in das sich alle einfügen sollen?

Betrachten wir einmal nur ein Teilgebiet der Museumsarbeit: das Kuratieren von Ausstellungen. Hier handelt es sich um einen kommunikativen Akt, der auf viele verschiedene Arten realisiert werden kann. Man kann seinen Besucherinnen und Besuchern wie ein Gastgeber, eine Lehrperson, eine Erzählerin, ein Entertainer oder wie ein Verkäufer gegenübertreten. Man kann plaudern, dozieren, belehren, hinterfragen, herausfordern, schmeicheln, werben oder langweilen. Auch für diese verschiedenen Modi des Kommunizierens in Ausstellungen haben wir keine Begriffe, weder in der Museumskunde noch in der Museumskritik. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Besuchende sehr wohl eine Ahnung oder ein Gespür dafür haben, welche Rolle ihnen in dem jeweiligen Setting zugedacht ist. Und ich glaube auch, dass Besucherinnen und Besuchern sehr wohl unterscheiden können, dass Museum nicht gleich Museum ist, dass sie also in einem Bratwurstmuseum etwas anderes erwarten können als im Deutschen Historischen Museum und dass sie in der Kunstsammlung Gera sicher andere Dinge sehen und erfahren werden als in der Apoldaer Museumsbaracke „Olle DDR“.

Namensklau oder Erfolgsbestätigung?

Anstatt also mit Missgunst auf all die kommerziellen Einrichtungen oder Amateure zu schauen, die sich den Namen „Museum“ stolz auf die Brust heften, könnten wir Museumsprofis uns doch auch darüber freuen, dass der Begriff offenbar mit so hoher Glaubwürdigkeit besetzt ist, dass ihn sich andere „Aussteller“ gerne borgen? Ich behaupte, dass wir Museumsleute hier viel gelassener und selbstbewusster sein könnten. Und uns unserer Rolle und Bedeutung im Klaren sein. Und uns und den Geldgeberinnen und -gebern immer wieder deutlich machen, dass sich Erfolg und Bedeutung nicht nur aus Besuchszahlen ablesen lassen, sondern zum Beispiel auch aus dem Erfüllen wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben – zu denen nicht zuletzt das Sammeln und Bewahren der materiellen Zeugnisse unserer Gesellschaft gehört (das sich ja nie in wirtschaftlichem Sinne „rechnen“ wird).

Es ist eine Binsenweisheit, dass Museen nicht nur ausstellende, sondern auch sammelnde Institutionen sind. Wir alle wissen, dass die Pflege der Sammlung viele räumliche und personelle Ressourcen erfordert, die die Öffentlichkeit nie zu Gesicht bekommt, denn die Besucherinnen und Besucher sehen in den Ausstellungen ja nur die Spitze des Eisbergs. Wir Museumsprofis täten gut daran, Strategien zu entwickeln, um die Öffentlichkeit am Museum insgesamt teilhaben zu lassen, also zum Beispiel auch Einblicke in die Sammlungen geben oder sie an der Frage beteiligen, was bewahrenswert ist, was von heute für die Zukunft bewahrt werden soll. Ich bin der Ansicht, dass es nicht (mehr) reicht, sich einfach nur auf der Behauptung der gesellschaftlichen Relevanz auszuruhen. Wir sollten heute genauer beantworten können, für wen oder was wir da sind und wie wir unsere wichtige gesellschaftliche Rolle ausfüllen. Und hier kommt wieder die Vielfalt ins Spiel: Wie stelle ich mein Museum auf? Wen will ich mit meiner Arbeit erreichen? Warum ausgerechnet diese Gruppe und nicht andere? Welchen Stellenwert hat die Sammlung, die ich betreue? Und lege ich mein Augenmerk besser auf das Sammeln oder das Ausstellen? Und müssen denn wirklich alle Museen sammeln und ausstellen? Können wir die Aufgaben nicht auch verteilen und uns spezialisieren und damit auch einen höheren Grad an Professionalisierung erreichen? Woran lassen wir uns messen? Woran wollen wir uns messen lassen? 

Konkurrenz oder Relevanz?

Die Frage nach der Relevanz von Museen ist nicht gleichbedeutend mit der Frage nach dem Erfolg. Die Frage nach Relevanz lässt sich nicht mit der Nennung von Besuchszahlen beantworten. Welche Bedeutung hat unser Museum für die demokratische Gesellschaft? Ein historisch-politisches Bildungsprojekt für Schulklassen kann gesellschaftlich relevanter sein als tausend verkaufte Eintrittskarten oder die Besuche von Reisegruppen, die im Rahmen eines engen Zeitplans durch das Museum geschleust werden. In die Zukunft gedacht, kann es wichtiger sein, eine bestimmte Sammlung zu übernehmen und aufzuarbeiten, als das 50. Event im Museum durchzuführen. Es fehlt immer noch an Methoden und Kriterien, um diese Art von Relevanz zu bemessen. Die britische Museum Association hat hier bereits vor einiger Zeit ein Toolkit entwickelt. Es wäre wünschenswert, wenn auch etwas Vergleichbares für die hiesige Museumslandschaft bereitgestellt werden würde.

Wenn wir argwöhnisch auf ein Kartoffelmuseum, eine Autoerlebniswelt oder ein Nähmaschinenmuseum schielen, dann positionieren wir uns als Konkurrenten auf dem Freizeitmarkt. Aber wollen wir uns wirklich in diesem Segment wiederfinden? Sehen wir uns tatsächlich als Player der Freizeit- und Kulturindustrie? Wenn wir versuchen, mit großen Unternehmen zu konkurrieren, uns neben Erlebniswelten und Showrooms zu behaupten, werden wir immer den Kürzeren ziehen, da wir nicht über die gleichen finanziellen Mittel verfügen und in den meisten Fällen auch für große Sammlungen zu sorgen haben. Sollten wir uns daher nicht eher darum bemühen, als Bildungseinrichtungen anerkannt zu werden? In der Corona-Krise hat sich deutlich gezeigt, wo die Politik uns sieht. Hier sollten wir dringend gegensteuern. 

Dabei wäre mehr Selbstbewusstsein aber auch mehr Kooperation hilfreich: Anstatt uns gegenseitig als Konkurrenten zu betrachten, könnten wir doch auch kollegial kooperieren und beispielsweise manche Aufgaben verteilen. Gerade die Sammlungen und Ausstellungen vieler Heimat- und Regionalmuseen ähneln sich verblüffend. Muss wirklich jedes Museum alles sammeln? Muss wirklich jedes Museum die Geschichte einer Stadt oder Region auf ähnliche Art und Weise erzählen? Oder können wir uns hier nicht zusammentun und schauen, wer was besonders gut kann oder wo wir auf welche gesellschaftlichen Bedürfnisse reagieren könnten?

Museen sollten nicht nach Eindeutigkeit streben, sie sollten sich zur Vielfalt bekennen. Wir Museumsmacher und -macherinnen können gute Antworten auf die Frage nach unserer Relevanz geben. Wir sollten uns positionieren und uns für Vielfalt in der Museumswelt und in der Gesellschaft engagieren. Gerade zur Zeit gilt es, sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einzusetzen. Museen, insbesondere lokal eingebettete Museen, könnten hier eine wichtige Rolle übernehmen. Wir brauchen Museen, die Vielfalt widerspiegeln, und nicht eine längst überholte Vorstellung von kultureller Homogenität reproduzieren. Wir sind nicht alle gleich, aber gleichberechtigt.

Zum Ende möchte ich noch einmal mit Blank und Debelts in die Geschichte der Begriffsdefinition schauen:

„Museum bezeichnete [im 18. Jahrhundert] einen ‚Ort der Geselligkeit‘, der – sinngemäß – folgendes umfassen konnte: einen Verkaufsort mit wechselnden Ausstellungen, ein Kaffeehaus, eine Akademie, eine Leihbibliothek, ein selbstverwaltetes Kulturzentrum, ein Konzert- und Ballhaus und nicht zuletzt einen Ort, an dem sich Politikverständnis ebenso wie Kunst- und Wissenschaftsvorstellungen bilden und festigen konnten, ein Ort des Diskurses, des Umgangs mit Menschen, meist unter Männern.“ (Blank/Debelts, S. 175) 

Also: Back to the roots? Irgendwie schon – nur dass das Museum schon lange nicht mehr nur ein Ort der Männer ist, sondern auch der Frauen – und all der Vielen dazwischen!

Angela Jannelli

Kuratorin für partizipative Museumsarbeit am Historischen Museum Frankfurt; Leiterin des Kunstprojektes "Bibliothek der Generationen" von Sigrid Sigurdsson; 2012 Dissertation im Bereich theoretische Museologie

Weiterführende Literatur:

Melanie Blank / Julia Debelts: Was ist ein Museum? „…Eine metaphorische Complication…“, Wien 2002

Angela Jannelli: Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums., Bielefeld 2012


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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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